Zhou, Jing

Agama

für Klarinette, Violine, Violoncello und Klavier, Partitur und Stimmen

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, Mainz 2013
erschienen in: das Orchester 06/2013 , Seite 67

Von der jungen chinesischen Komponistin Jing Zhou, Jahrgang 1980, legt der Schott-Verlag nach Ba Luan für Violine und Klavier mit Agama ein zweites Kammermusikwerk vor. In beiden Werken zeigt die Komponistin ihre Verbundenheit zur Tradition ihres Heimatlandes. Ba Luan basiert auf einem alten chinesischen Volkstanz, während die Inspirationsquelle für Agama eine fundamentale heilige Schrift des frühen Buddhismus ist: „Agama ist eine spezielle Musik, die für die Idee des Buddhismus steht, dass alles in der Welt ständig in Bewegung ist, ein Werden und Vergehen, ein vollkommener Kreis, der nie endet.“ (Vorwort)
Es liegt nahe, dass die Umsetzung dieser Idee ins Musikalische vornehmlich durch die rhythmische Gestaltung bestimmt wird. So beginnt Agama nach einer eröffnenden Klarinettenfloskel mit dichten, unregelmäßigen rhythmischen Impulsen, die von auf einer Terz basierenden sich wiederholenden Flageolettklängen erzeugt werden. Durch das Hinzutreten der Klarinette erhöht sich die Impulsdichte, der Tonraum und die Harmonik werden erweitert. Die Musik ist in ständiger metrisch nicht fassbarer Bewegung und steuert allmählich einem ersten Höhepunkt zu. Harmonisch dominieren dabei Sekund- und Septintervalle, in der Klarinette wird der Klang durch einige Multiphonics geschärft.
Nach einer kurzen Beruhigungsphase folgt ein zweiter Abschnitt, Molto espressivo, der mit einem triolischen Sekund/Quart-Motiv beginnt, das in verschiedenen Varianten im weiteren Verlauf in die divergierenden melodischen Linien von Klarinette und Streichern einfließt, bei sparsamem Einsatz des Klaviers. Dieses bekommt im dritten Abschnitt Vivo energico eine rhythmisch markantere Rolle. Die Bewegung verdichtet sich, der Tonraum wird ausgeweitet und alles läuft auf den nächsten Höhepunkt zu, dem sich unmittelbar der vierte Teil mit der Bezeichnung Presto delirando anschließt. Hier werden zunächst im tänzerischen 3/16-Takt in motorischer Bewegung und mit großer Intensität Violine und Violoncello in kleinen Sekunden gegeneinander gesetzt. Klaviereinwürfe greifen in den Akkordgebilden die Sekunden auf. Über dieser Schicht erhebt sich eine ausgreifende Klarinettenmelodie. Zielpunkt ist ein letzter Höhepunkt, dessen Energie in dem abschließenden Teil wieder abgebaut wird. Die Musik verliert an melodischen Elementen und kehrt zum rhythmisch bewegten Anfang von Agama zurück.
Jing Zhou verzichtet in Agama mit Ausnahme der Multiphonics auf spezielle Spieltechniken und verlässt sich ganz auf die Wirkung der traditionellen Tonqualitäten. Für die Einstudierung des zwölfminütigen anspruchsvollen Kammermusikwerks wäre es hilfreich gewesen, wenn der Verlag das Stimmenmaterial an rhythmisch diffizilen Stellen mit Stichnoten versehen hätte. (Druckfehlerhinweis: Klarinettenstimme Takt 348 und 355 letztes Triolenachtel muss ein Sechzehntel sein.)
Für das 2009 in Beijing uraufgeführte Werk verwendet die Komponistin die gleiche Besetzung wie Olivier Messiaen in seinem Quatuor pour la fin du temps: So könnte sich durch die Aufführung beider Werke in einem Konzert eine inhaltlich sinnvolle Programmgestaltung ergeben.
Heribert Haase