Alain Girard
Aerophor
Eine Dokumentation A Documentation
Schwer ist das Fagott zu blasen, Pusten über alle Massen
Doch mit einem Aerophor
Macht man all dies mit Humor.
Musst man früher schwer sich schinden,
Kann man jetzt Vergnügen finden, Wenn von dem Blasebalge leicht
Luft durch Mund und Röhrchen streicht.
Jeden Ton auf dem Fagott
Halt ich aus jetzt bis zum Tod!
so überliefert von einem Fagottisten namens Wunderlich aus Mainz.
Der Aerophor war nicht auf das Fagott beschränkt. Am Anfang des 20. Jahrhunderts von dem Solo- und Orchesterflötisten Bernard Samuels erfunden, ermöglicht es der Ton-Binde-Apparat, auf allen Blasinstrumenten beliebig lange Töne mithilfe eines Blasebalgs, eines Schlauchs für die Luftzufuhr und eines Mundrohrs spielen zu können; das Mundrohr ist dabei am jeweiligen Instrument befestigt.
Als vielversprechende Lösung für die Atemprobleme der Bläser angesichts steigender Anforderungen in den Orchestern wurde die Neuerung von vielen wichtigen Dirigenten und Musikern der Zeit ausgesprochen positiv aufgenommen und fand innerhalb kurzer Zeit eine beachtliche Verbreitung. Richard Strauss bezeichnete die Erfindung als epochemachend und prophezeite, mit ihr beginne ein neues Säculum der Orchester-Technik. In der Partitur der Alpensinfonie und dem Festlichen Praeludium schrieb er die Benutzung des Aerophors sogar vor, um in den Blasinstrumenten die langen Bindungen ohne Atem-
unterbrechung auszuführen.
Bernard Samuels wurde 1872 in Surinam geboren und wuchs in Holland auf. Er spielte in verschiedenen holländischen und deutschen Orchestern Flöte, von 1906 bis 1911 auch im Bayreuther Festspielorchester. 1911 meldete er den Aerophor in mehreren Ländern zum Patent an und bemühte sich kontinuierlich um eine Vervollkommnung seiner Erfindung, u.a. durch das Hinzufügen einer Luftbefeuchtung und -heizung.
Nach mehreren Reisen, die den Aerophor bekannt machen und seinen Verkauf fördern sollten, kehrte Samuels nach Holland zurück. 1944 starb er im KZ Theresienstadt, wie auch seine Frau. Die beiden Töchter eine war von Beruf Harfenistin wurden 1943 in den Konzentrations- bzw. Vernichtungslagern Auschwitz und Sobibor ermordet.
Nach dem Zweiten Weltkrieg geriet der Aerophor in Vergessenheit und wurde nur noch vereinzelt gebraucht. Alain Girard ist es gelungen, nach jahrelanger Recherchearbeit eine umfangreiche Sammlung von Materialien und Dokumenten vorzulegen (darunter auch sehr schöne Fotos), die die Geschichte des Aerophors lebendig werden lässt und ein wenig bekanntes Kapitel der Musikgeschichte erhellt. Die Publikation, die sich strukturell an den Stationen der Alpensinfonie orientiert, ist sorgfältig erstellt und liegt zweisprachig auf Deutsch und Englisch vor; die französische Originalfassung kann per Mail angefordert werden.
Auch wenn der Aerophor aus heutiger Sicht vielleicht nur als eine historische Kuriosität erscheint, bleibt die Lektüre der Dokumentation sehr spannend nicht nur für Spieler von Blasinstrumenten.