Jarrett, Keith
Adagio für Oboe und Streichorchester
Klavierauszug von Tomasz Trzcinski
Die Improvisationen von Keith Jarrett sind Kult. Das markante weiße Cover des Köln Concert gehörte in den Siebzigern zum unverzichtbaren Bestandteil vieler Haushalte und hat eine ganze Generation geprägt. Nicht ganz diesen Bekanntheitsgrad erreichten die anderen Improvisationen (z.B. Vienna Concert) oder gar die mit seinem Jazz-Trio bzw. -Quartett eingespielten Standards. Auch Ausflüge in das klassische Klavierrepertoire oder auf andere Tasteninstrumente unternahm der große Ausnahmekünstler bisweilen und polarisierte damit stets die Kritik so bei Bachs Goldberg-Variationen auf dem Cembalo.
Dass Keith Jarrett auch als Komponist durchaus ernst zu nehmen ist, geht in dieser überraschenden Vielseitigkeit meist unter. Der Siebzehnjährige komponierte bereits ein zweistündiges Klavierkonzert. Andere Kompositionen teils Orchester-, teils Kammermusik wurden zwar zu Beginn der 1990er Jahre bei ECM eingespielt, sind in Europa jedoch gänzlich unbekannt. Bei Schott ist jetzt das 1984 entstandene Adagio für Oboe und Streichorchester erschienen.
Wer gefällige Jazzklänge erwartet, wird enttäuscht sein, denn die etwa zehnminütige Komposition ist von tiefem kompositorischen Ernst. In langen Melodien entwickelt sich die Oboenstimme über einem dunklen Orchesterteppich. Die Tonalität schwankt zwischen wenigen freien Passagen und mit Septen, Nonen, Undezimen etc. angereicherten Dur- bzw. überwiegend Moll-Akkorden. Und natürlich mischt sich rhythmisch auch die ein oder andere Jazzpassage darunter.
Einen großen Spannungsbogen mit einem gezielten Kulminationspunkt hat das Adagio nicht. Mehrere langsame und frei zu gestaltende Teile reihen sich aneinander, die durch verschiedene Bewegungen gekennzeichnet sind. Ist der Beginn düster lastend, so erscheinen später in den Streichern Sechzehntel über einem rhythmisch immer wieder belebten Orgelpunkt. Eine sehr frei fugierte Passage schließt sich an, bevor das Ganze nach knapp 170 Takten ruhig und melancholisch endet.
Die Orchesterzwischenspiele geben immer wieder Raum zum Entspannen. Der Tonumfang des Oboenparts ist recht gering (h bis h2) und gekennzeichnet von langen, legato zu spielenden Melodien. Die Schwierigkeiten liegen eher in der tonlich adäquaten Gestaltung als in der Virtuosität, denn die wenigen Sechzehntel im langsamen Tempo liegen grifftechnisch sehr bequem.
Der Klavierauszug erfordert große Hände, bietet aber ansonsten technisch wenig Schwierigkeiten. Auch hier ist die klangliche und insbesondere die dynamische Gestaltung die eigentliche Herausforderung. Die Partitur und die Stimmen der Fassung für Streichorchester sind leihweise erhältlich.
Marie-Theres Justus-Roth