Hummel, Bertold
Adagietto für Streichsextett
opus 75d (1978/1999)
So mancher Komponist beschäftigt sich ein ganzes Musikerleben lang immer wieder mit einem einzelnen Werk, arbeitet es um, verwirft es, konzipiert es neu oder veröffentlicht es in immer neuen Fassungen. Richard Wagners Beschäftigung mit seinem Tannhäuser ist ein solches Beispiel; die Oper wurde nach Ansicht ihres selbstkritischen Schöpfers nie fertig und ist doch ein Meisterwerk.
Bertold Hummels Tannhäuser ist sein Adagietto für Streichsextett op. 75d. Der Komponist hat es mehrfach neu ausgelegt und bevor die endgültige Fassung 1999 entstand auch bereits schon einmal veröffentlicht. Für Hummel scheint dieses knappe und übersichtliche Streicherstück eine Art innerer Einkehrpunkt gewesen zu sein, ein ganz wichtiger Fixpunkt seines Schaffens. Und auch an der Uraufführung in Gütersloh drei Jahre vor seinem Tod war der Komponist als Cellist unmittelbar beteiligt.
Wie so häufig in Bertold Hummels Werken fällt der unmittelbare musikantische Gestus seiner Schreibweise auf. Schon durch die enormen Dynamikunterschiede erhält das Adagietto eine raumgreifende Lebendigkeit und eine sehr große Unmittelbarkeit in der Wirkung. Klanglich setzt der Komponist auf die ganze Bandbreite der Ausdrucksfähigkeit des eingesetzten Streicherapparats. Die sechs Stimmen sind gefordert, auf relativ engem Raum erhebliche Kontraste darzustellen und dennoch nie den Fluss und die Vorwärtsbewegung der Musik zu vernachlässigen; eine Vorwärtsbewegung, die sich nicht im bloß Motorischen erschöpft, sondern zielgerichtet einem entspannten, ausgeglichenen Ende entgegenstrebt.
Vor diesem ruhevollen Schlusspunkt jedoch entwickeln sich hochverdichtete musikalische Impressionen aus kleinsten tonlichen und motivischen Zellen. Die jeweils zwei Violinen, Bratschen und Violoncelli entwerfen dabei Strukturen, die in ihrer Entstehung und Veränderung stets gut nachvollziehbar und plastisch gegeneinander abgegrenzt sind. Gefordert werden von den Ausführenden dabei eine hohe Transparenz im Zusammenspiel, ein in allen dynamischen Abstufungen äußerst tragfähiger Ton und eine ausdrucksstarke Linienführung.
Bertold Hummels Adagietto mag in seinem jahrzentelangen Entstehungsprozess mancher Veränderung unterworfen gewesen sein. In jedem Fall aber tritt uns das finale Entwicklungsstadium als ein Konzentrat an klanglicher und struktureller Tiefenschärfe entgegen als eine Musik, in der schlicht alles am richtigen Platz scheint.
Daniel Knödler