Egk, Werner

Abraxas

Faust-Ballett nach Heinrich Heine

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Oehms Classics OC 574
erschienen in: das Orchester 05/2007 , Seite 84

Mit seinem Faust-Ballett hatte Heinrich Heine wenig Glück. Zwar hatte er für Der Doktor Faust, den der Dichter als „Tanzpoem“ charakterisierte, einen Auftrag des Impressarios Benjamin Lumley von 1846 für eine Londoner Aufführung, doch diese kam nie zustande.
Auch spätere Versuche, durch die Vermittlung Laubes in Wien oder Berlin eine Bühnenproduktion zu ermöglichen, schlugen fehl. Heinrich Heine hat sich lange mit dem Faust-Stoff auseinandergesetzt, natürlich auch mit dessen Behandlung bei Goethe, wobei die von Heine überlieferte Bemerkung, die bei der einzigen Begegnung von Goethe und Heine am 26. Mai 1826 (Heine antwortete angeblich auf die Frage Goethes, womit er sich beschäftige, „mit einem Faust“) gefallen sein soll, wohl eher im Reich der Fabel angesiedelt ist. Sehr bewusst hat sich Heine von der Goethe’schen Behandlung des Stoffs distanziert, was nicht nur in der Umwandlung von Mephisto zu Mephistophelia zum Ausdruck kommt. In den dem Tanzpoem beigegebenen Erläuterungen spricht Heine dezidiert im Gegensatz zu Goethe von der „Revolte der realistischen, sensualistischen Lebenslust gegen die spiritualistisch altkatholische Askese“.
Es dauerte bis ins 20. Jahrhundert, bevor Heines Faust-Ballett das Licht der Bühne erblicke. Wobei ein Versuch in Prag 1926 ohne weitere Folgen blieb. Erst Werner Egk, 1901 in Donauwörth geboren, gestorben 1983 am Ammersee, hat sich des Heine’schen Tanzpoems wieder angenommen, aber mit kräftigen Eingriffen in das Libretto und unter dem Titel Abraxas. Zur Erläuterung des Titels verwies der Komponist auf die mit „Abraxas verbundenen Assoziationen wie Zahlenmystik und schwarze Magie, Begriffen, die unzertrennbar mit der Faust-Figur verbunden sind, egal welche der vielen Ansätze einer Auseinandersetzung mit Faust man betrachte“.
Uraufgeführt wurde Werner Egks Abraxas am 6. Juni 1948 im noch immer halbzerstörten Münchner Prinzregententheater. In der Choreografie von Marcel Luipart tanzte das Ballett der Münchner Staatsoper die erfolgreiche erste Uraufführung eines Handlungsballetts im Nachkriegsdeutschland. Zum Erfolg des Egk’schen Abraxas trug aber ein skandalöser Fall von Zensur noch mehr bei. Denn nach der fünften Aufführung verbot der bayerische Kultusminister Alois Hundhammer das Werk mit der Begründung, im Mittelpunkt stehe eine schwarze Messe. Der Verbreitung und dem Erfolg des Faust-Balletts wurde damit nur Vorschub geleistet, und der Name eines unbedeutenden bayerischen Provinzpolitikers erhielt zudem Einzug in die Fußnoten der Geschichtsschreibung über staatliche Willkürmaßnahmen gegen die Freiheit der Kunst.
Ab den 1970er Jahren hat das Interesse an Egks erfolgreichstem Ballett indes nachgelassen. Zumindest als akustisches Dokument einer der seltenen Aufführungen von Abraxas liegt nun eine auf einer Aufführungsserie des Theaters Eisenach basierende Studioproduktion vor. Geleitet wird die Landeskapelle Eisenach, die auf eine lange musikalische Tradition zurückblicken kann, bei dieser Einspielung von dem 1963 im Schwarzwald geborenen Mark Mast. Die Landeskapelle zeigt sich auf dieser gut klingenden Einspielung als ein mehr als solider Klangkörper mit klar konturierten Streichern und einer Bläserbesetzung, die den vielen solistischen Partien der Egk’schen Partitur nichts an Prägnanz und Klangschönheit schuldig bleibt.
Stilistisch ist die Ballettmusik des Komponisten, dessen ganzes Schaffen selbst in konzertanten Werken immer einen Bezug zur Szene hat, von einer heute sehr gemäßigt klingenden Modernität geprägt. Beeinflusst von Strawinsky, dessen Sacre du Printemps bei einigen Takten ganz offensichtlich Pate gestanden hat, und Prokofjew, aber auch der Klarheit eines Ravel und dessen Bläserbehandlung, ist Abraxas auch ohne die optische Vermittlung durch eine Choreografie zu goutieren. Eine gelungene Produktion, auch wenn einige Blechbläserpassagen mit schneidenderem Nachdruck versehen hätten werden können und das dritte Bild „Pandämonium“ etwas mehr rhythmische Zuspitzung hätte vertragen können.
Walter Schneckenburger