A Trail on the Water

Abbado / Nono / Pollini. With Claudio Abbado/Maurizio Pollini

Rubrik: DVDs
Verlag/Label: EuroArts 1052029
erschienen in: das Orchester 09/2006 , Seite 96

Ein Foto aus den sechziger Jahren verewigt das Trio: Claudio Abbado und Maurizio Pollini lächeln sich leicht verschmitzt an, in ihrer Mitte steht Luigi Nono, der mit einem eher ernsten Ausdruck in die Kamera schaut.
Zu Beginn der neunziger Jahre, als Bettina Ehrhardt und ihr Ko-Autor Wolfgang Schreiber sich mit dem Gedanken an einen Porträtfilm über die drei Künstler trugen, war Luigi Nono bereits gestorben, sodass zu befürchten stand, er könnte vielleicht zu kurz kommen neben seinen Freunden, die noch vor der Kamera interviewt werden konnten. Das Gegenteil ist nun aber der Fall: „Gigi“, wie ihn seine Freunde nannten, ist Dreh- und Angelpunkt dieser lyrischen, einfühlsamen Dokumentation, die einem sein Œuvre durch die Erläuterungen seiner Freunde, seiner Witwe Nuria Schönberg und viele Eigenzitate nahe bringt.
Dabei liegt der große Schlüssel zu seinem Werk in seiner Heimat Venedig. „Dort höre ich die Farbe der Steine und die Farbe des Wassers“, sagte Nono über die Lagunenstadt, in der er 1924 geboren wurde und 1990 starb, sie inspirierte ihn mit ihrem Nebel, den vielen Brücken, den Spiegelungen im Wasser, Gondeln und Vaporetti. Und auch mit ihrer Stille. Die Stille kann nicht nur Konturen und Ohren schärfen, sie kann das menschliche Denken aufwecken.
Das begriffen auch Claudio Abbado und Maurizio Pollini, denen Nono viele Werke widmete und die sein Œuvre scharfsinnig in Beziehung zu anderen Komponisten setzen. „Menschen haben Angst vor der Stille“, sagt Abbado, so wie vor dem Tod. Und in dem Ersterben, Auslöschen von Klängen, da liege das größte Geheimnis in den Werken von Mahler und Nono. Charakteristisch für Nono ist aber auch seine überraschende Nähe zur Alten Musik, seine Experimentierfreudigkeit mit dem Raumklang und seine chromatische Sprache, weiß Pollini, der bisweilen Madrigale von Luca Marenzio und Girolamo Frescobaldi in seine unkonventionellen Konzertabende einbindet.
„Es ist das Unhörbare oder das Ungehörte, das den Raum nicht ausfüllt, sondern ihn erst entdeckt, ihn enthüllt, so als wäre man selbst Teil des Raumes“, hat Nono gesagt. Plastisch erfahrbar wird das, wenn Chorsätze aus seiner „Tragödie des Hörens“, dem Prometeo, Bild-Sequenzen illustrieren, in denen die Kamera Kuppeln und Schiffe der Basilika von San Marco durchwandert. Überhaupt liegt ein großer Reiz dieses Films in seinem harmonischen Zusammenwirken stimmungsvoller Bilder und Klänge. Die vielen Streifzüge durch Venedig bei Beleuchtungswechseln, sie besitzen Magie und machen Eine Kielspur im Wasser zu einem wunderbaren sinnlichen Kinoerlebnis.
Dagegen wird das politische Engagement nur gestreift. Angesprochen werden der kulturelle Klassenkampf, der begann, als das Trio Anfang der siebziger Jahre das Festival „Musik und Wirklichkeit“ in Reggio Emilia ins Leben rief, wo es in Fabriken für Studenten und Arbeiter spielte, sich auch mit Werkanalysen erfolgreich für einen neuen Zugang zur neuen Musik einsetzte. Erinnert wird auch an jenen legendären Klavierabend in Mailand, an dem Pollini gegen den Willen des Publikums einen Protestbrief gegen amerikanische Gräueltaten im Vietnamkrieg verlesen wollte, der damit endete, dass die Polizei eingriff und der Flügel zugeklappt wurde. Über den zeitgeschichtlichen Kontext hätte man gerne noch etwas mehr erfahren. Ansonsten ein wunderbarer Film über eine wunderbare Freundschaft.
Kirsten Liese