Sallinen, Aulis
A Solemn Overture (King Lear) op. 75/Symphony Nr. 1 op. 24/Chorali/Symphony Nr. 7 op. 71 “The Dreams of Gandalf”
Einojuhani Rautavaara und Aulis Sallinen sind die großen alten Männer der finnischen Musik. Sallinen wurde 1935 an der Nordseite des Ladoga-Sees geboren, nicht weit von dem orthodoxen Inselkloster, das dem Knaben Rautavaara zum musikalischen Erweckungserlebnis wurde. Durch den russisch-finnischen Friedensvertrag von der Heimat getrennt, nahm Sallinen in den 50er Jahren bei den bedeutenden Komponistenmachern Aarre Merikanto und Joonas Kokkonen in Helsinki ein Kompositionsstudium an der Sibelius-Akademie auf. Nach einigen Unterrichtsjahren verschrieb er sich ganz und gar der Komposition. Als international geachteter Sinfoniker (acht Sinfonien) und Erfolgsautor des Musiktheaters (sechs Opern bislang) zählt Sallinen heute zu den Gallionsfiguren der skandinavischen Musikszene.
Die hier eingespielten Orchesterwerke teilen sich in zwei frühe und zwei späte. Chorali und 1. Sinfonie entstanden Anfang der 70er Jahre, die 7. Sinfonie Gandalfs Träume und Eine festliche Ouvertüre in der zweiten Hälfte der 90er. Mit den Erstgenannten wagte sich Sallinen nach seriellen Probeläufen in den Sperrgürtel der modernistisch-intoleranten Stilwächter, die ihn prompt zum Renegaten stempelten. Heute, da die Aufregung von damals einer gelassenen Betrachtung gewichen ist, tritt die eigentümliche Schönheit der Chorali, in denen Sallinen den Keim zu seiner (von ihm so genannten) Mosaiktechnik legte, ebenso unverstellt hervor wie die vegetativ sich fortzeugende Zellkultur in seiner 1972 zur Eröffnung der Finlandia-Halle komponierten Sinfonia. Einem Wunsch des damaligen Chefs des finnischen Radiosinfonieorchesters folgend, beschäftigt diese erste Symphonie nur Bläser und Schlagzeuger, Harfe und Celesta (also keine Streicher).
In der Kunst, aus thematischen Zellen qua Metamorphose horizontweite Klanglandschaften zu gewinnen, in seinen schlanken, klar konturierten Orchesterfarben und seiner Neigung zu Orgelpunkten deutet sich das Geisteserbe des finnischen Nationalromantikers Sibelius an (auch wenn er es gar nicht so gern hört).
Der Untertitel der 7. Sinfonie weist auf die berühmte Figur aus Tolkiens Herr der Ringe. Ursprünglich hatte Sallinen ein Hobbit-Ballett im Sinn ein Projekt, das aus Copyright-Gründen scheiterte. Sein hierfür gesammeltes Material reichte für eine 25-minütige sinfonische Partitur. Sie gibt keine Ereignisschilderungen, sondern spürt der mythisch-poetischen Sphäre des sagenhaften Fantasiereichs mit seinen menschenähnlichen Bewohnern nach. Auch die Festliche Ouvertüre zehrt von einem anderen Werkplan, wie der Klammerzusatz verrät: Sie beruht auf motivischen Zentren, die sich der Komponist für seine Oper König Lear (UA Helsinki 2000) zurechtgeschnitten hatte.
Die Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz aus Ludwigshafen am Rhein gibt sich unter ihrem finnischen Chefdirigenten Ari Rasilainen mit gläubigem Eifer und hoher künstlerischer Potenz der zunehmend mediterran anmutenden Klangwelt des Finnen hin, der den Süden Frankreichs zu seiner Wahlheimat erkor.
Lutz Lesle