Ralph Vaughan Williams

A Sea Symphony & Serenade to Music

MDR-Sinfonieorchester, MDR-Rundfunkchor, Ltg. Dennis Russell Davies

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Solo Musica SM 415
erschienen in: das Orchester 6/2023 , Seite 69

Eines der im deutschen Konzertleben beliebtesten Werke von Ralph Vaughan Williams ist die Sea Symphony (1910) für Soli, Chor und Orchester – eines von vielen britischen chorsinfonischen Werken gleicher oder ähnlicher Besetzung (auch Vaughan Williams hat sich im Bereich der Chorsinfonik mit zahlreichen Kompositionen unterschiedlichster Dimension und Intention profiliert, die hierzulande allesamt ignoriert werden). Das Meer als Symbol des Lebens ist hier weit existenzieller erfahrbar als etwa bei Debussy, und eine umfassende dramatische Ausarbeitung wäre bei solch einem Werk möglich. Dennis Russell Davies wählt mit Chor und Sinfonie­orchester des MDR einen eher deskriptiv-konventionellen denn sinfonischen Zugang – klangliche Opulenz scheint wichtiger als Textausdeutung oder
-verständlichkeit. Letztere ist getrübt, nicht zuletzt durch den äußerst prob­lematischen Aufnahmeklang, der den Chor schwammig und gerade im Vergleich zum Orchester deutlich zu wenig präsent klingen lässt. Unnötige Ritardandi und Fermaten und unnötige Effekthascherei lenken von Vaughan Williams’ musikalischer Logik ab und behindern sie sogar. In den knapperen Binnensätzen ist die Wiedergabe überzeugender, wenngleich auch hier die Klangfarbigkeit eher amerikanisch denn englisch klingt.
Der philosophischen (und auch transzendierenden) Botschaft auf Texte Walt Whitmans bleiben alle Mitwirkenden fern – am meisten vielleicht die Sopranistin Elizabeth Lyons, deren Stimme zwar technisch zuverlässig, aber wenig charaktervoll klingt. Der Bariton Christopher Maltman hat vokal hörbar den Zenit seiner Fähigkeiten überschritten, überzeugt aber im Rahmen seiner stimmlichen Möglichkeiten durch expressive Rhetorik. Der MDR-Rundfunkchor verirrt sich gelegentlich stilistisch derart, dass man sich in einem Mendelssohn-Werk wähnt. Im Orchesterklang verwechselt Davies, der auch im Falle von Holsts The Planets eine merkwürdig unidiomatische Einspielung vorgelegt hatte, England und USA. Das verleiht der Musik eine reizvolle Nähe zu Copland, Corigliano, Glass und anderen, hilft den Hörer:innen aber nicht, Vaughan Williams’ Klangsprache zu verstehen. Auch der Booklettext lässt uns über die interpretatorischen Intentionen im Dunkeln.
In den Augen des Rezensenten war es ein Fehler, die Serenade to Music in der Fassung für vier Solostimmen, Chor und Orchester auf einer Bonus-CD beizufügen. Die Chorfassung war eine vom Komponisten erstellte Notlösung für den Fall, dass man keine sechzehn (!) hochkarätigen Gesangs­solisten zur Hand gehabt hätte, die bei der Uraufführung 1938 Sir Henry Wood zum 50-jährigen Dirigierjubiläum die Reverenz erweisen – und auch hier hören wir eher eine Notlösung denn eine Referenzeinspielung.

Jürgen Schaarwächter

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