Mendelssohn Bartholdy, Felix
A Midsummer Night’s Dream – Ouvertüre op. 21 / Sinfonie-Kantate “Lobgesang” op. 52
Siebzehn Jahre hatte Riccardo Chailly in Amsterdam mit dem Koniklijk Concertgebouw Orkest gearbeitet, im vergangenen Jahr wechselte er nach Leipzig in die Position des Gewandhaus-Kapellmeisters, die nach fast vier Jahrzehnten erstmals auch wieder die Funktion des GMD der Leipziger Oper einschließt. Als Antrittskonzert im Gewandhaus hatte Chailly Mendelssohns Lobgesang, die Sinfonie-Kantate B-Dur op. 52 gewählt. Er hatte sich dabei für die erste Fassung des Werks entschieden, die Mendelssohn am 25. Juni 1840 in der Leipziger Thomaskirche aus Anlass der Vierhundertjahrfeier der Erfindung der Buchdruckerkunst aufgeführt hatte. Schon bald danach hatte Mendelssohn die Komposition einer eingehenden Revision unterzogen.
Der Frühfassung fehlen noch einige solistische Einschübe (so etwa die Tenorsoli Er zählet unsre Tränen und Wir riefen in der Finsternis), und die Stimmführung in den drei einleitenden Orchester- sowie den nachfolgenden Chor- und Solosätzen unterscheidet sich bisweilen nicht unerheblich von der letztgültigen Version.
Riccardo Chailly vermag mit dem ihm flexibel und tonschön folgenden Leipziger Gewandhausorchester die Eigentypik der musikalischen Charaktere von Mendelssohns Sinfonie-Kantate klar und deutlich herauszuarbeiten und hieraus ein spannungsvolles, an Konturen reiches, jedoch geschmeidig ausformuliertes Profil zu modellieren. Ausgesprochen organisch weiß er in dieser Hinsicht beispielsweise den instrumentalen Choral im zweiten Satz (Allegretto un poco agitato) einzubetten. Den dritten Satz der dem vokalen Teil vorangestellten Orchestereinleitung (Adagio religioso) nimmt er im Tempo recht breit und erreicht dadurch eine klangsatte Wärme; dennoch kann er den Satz recht transparent halten und die instrumentalen Figurationen lebendig ausleuchten.
Überhaupt gelingt es ihm, mit der Orchestereinleitung wirklich auf den Vokalteil hinzuführen und Chor und Vokalsolisten als Aufgipfelung eines Entwicklungsprozesses zu verstehen. Die beiden für diese Aufnahme zusammengeführten Chöre singen straff, aber mitunter auch etwas steif. Und Chailly verlangt vom Chor wahrlich eine kontrastreiche Ausdruckszeichnung, wenn er etwa direkt auf die triumphale Geste des Chors Die Nacht ist vergangen einen lammfrommen, fast schüchtern artikulierten Choral Nun danket alle Gott folgen lässt. Was die Vokalsolisten angeht, wissen sich die beiden Soprane im Duett Ich harrete des Herrn in linearem Duktus schmiegsam miteinander zu verbinden. Der Tenor allerdings kann seine opernhaften Unarten des Verschmierens der Intervalle leider nicht genügend unterdrücken.
In der Sommernachtstraum-Ouvertüre sucht und findet Chailly ein reiches Spektrum an Ausdrucksgestalten, deren feinst ausziseliertes Gespinst er wie deren drängende Zugkraft in einer lebendigen Balance halten kann.
Thomas Bopp