A French Recital

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Oehms Classics oc 856
erschienen in: das Orchester 06/2013 , Seite 72

„Impressionistische Vorgriffe bei Franck, romantische Klänge bei Debussy, impressionistische Züge bei Dutilleux.“ Der 1977 in München geborene Sebastian Klinger zählt seit 2001, als er einer der vier Preisträger des Deutschen Musikwettbewerbs des Deutschen Musikrats war, zu den vielversprechendsten Cellisten seiner Generation. Begleitet wird er auf dieser konzeptuell um das Gleiche im Ungleichen kreisenden CD von der ukrainischen Pianistin Milana Chernyavska, die eine weltumspannende Karriere als Solistin und Kammermusikpartnerin vorzuweisen hat.
Seiner 1915 komponierten Cellosonate wollte Debussy – wie Schönberg, Strawinsky und andere fasziniert von den Ausdrucksformen der Commedia dell’Arte – zunächst den Untertitel „Pierrot fache avec la lune“ (Pierrot ist im Streit mit dem Mond) geben. Im hilfreichen Booklet ist eine für die Interpretation aufschlussreiche Assoziation Klingers mit Filmen von Charlie Chaplin nachzulesen: „In einer Szene sitzt Chaplin einer Frau in einem Boot gegenüber. Als sie sich wegdreht, macht er ihr Avancen. Sobald sie sich ihm wieder zuwendet, tut er so, als ob nichts gewesen wäre. So ein pantomimisches Spiel ist bei Debussy in Musik gefasst.“ Und genau dieses Konzept setzen Klinger und Chernyavska in betörender Weise in ihrer Gestaltung um, mit spürbarer, teilweise atemberaubender Musizierlust, gleichzeitig stets eng am differenzierten Notentext, die verschiedenen Inst – rumentalfarben, Musikstile und folkloristischen Elemente virtuos in Szene setzend.
Die Trois strophes sur le nom de Sacher (Drei Strophen/Sätze über den Namen von Paul Sacher) von Henri Dutilleux bilden aus Klingers Sicht eine Parallele zu Debussy: „Das Stück ist für mich wie ein großes Klangfarbenmosaik.“ Dutilleux, ein von der Avantgarde unabhängiger Gegenwartskomponist, widmete den ersten Teil der Trois strophes zusammen mit elf weiteren Auftragskompositionen dem großen Basler Förderer zeitgenössischer Musik Paul Sacher anlässlich dessen 70. Geburtstags, auf der Tonfolge „eS-A-C-H-E-Re“ basierend. Auf Anregung von Rostropowitsch um zwei Sätze (strophes) ergänzt, wurde das Werk 1982 veröffentlicht. Mit eminenter Technik und verblüffendem Farbenreichtum gestaltet Klinger die filigranen Klangreize dieser gestischen Musik, die sul-ponticello-Effekte, feenhaften Flageoletts und kunstvollen Illusionen von Mehrstimmigkeit.
Aus heutiger Sicht erstaunlich, dass die Sonate A-Dur (1886) mit den Instrumentalwerken des Pariser Orgelprofessors César Franck seinerzeit als „musique savante“ (gelehrte Musik) nur eine Außenseiterrolle spielte, zählt sie doch heute bei Interpreten und Publikum zu den beliebtesten Stücken des Kammermusikrepertoires. Klinger spielt die von Franck autorisierte Cello-Fassung (Jules Delsart) an zahlreichen Stellen analog zur Violinfassung nach oben oktaviert (jedoch nicht durchgängig, wie im Programmheft zu lesen ist; vgl. etwa den kanonischen Beginn des 4. Satzes). Sebastian Klinger und Milana Cernyavska gelingt eine packende Darstellung der thematisch verbundenen vier Sätze.

Hartmut Möller