Gabrielli, Domenico

7 Ricercari für Violoncello solo

Urtext und Faksimile

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, Mainz 2009
erschienen in: das Orchester 12/2009 , Seite 64

Beflügelt durch die Künste ihrer Bologneser Geigenkollegen – darunter Giuseppe Torelli – und unterstützt durch ihren cellospielenden fürstlichen Dienstherrn machten sich um 1680 die Bologneser Cellisten Giovanni Battista degli Antonii und Domenico Gabrielli daran, ihr Instrument aus dem engen Rahmen eines mit überschaubarem Aufwand zu bewältigenden Bassinstruments zu befreien. Erstmals entstanden Werke für Solo-Cello, und dank dieser Pioniertat entdeckten viele Komponisten die bis dahin ungenutzten solistischen Möglichkeiten des Instruments: Sonaten, Vokalwerke mit obligatem Cello und Solopassagen in Orchesterwerken zeugen vom Erwachen eines Instruments aus dem Dornröschenschlaf des Generalbassspiels zu höchsten solistischen Blüten.
Herausgeber Julius Berger weist im Vorwort der vorliegenden Gabrielli-Edition darauf hin, dass zu dieser Zeit in Bologna metallumsponnene Cellosaiten entwickelt wurden und sich hierdurch die Tonansprache insbesondere auf den tiefen Saiten verbesserte. Auch dies trug dazu bei, dass Gabrielli seinem Instrument einiges abverlangen konnte: Scheinpolyfonie, durchbrochene Mehrstimmigkeit, überraschende Harmoniewechsel zeugen von seiner Metiersicherheit – er spielte keineswegs „nur“ Cello, sondern wirkte auch als Opern- und Oratorienkomponist – ebenso wie vom vergrößerten Spektrum instrumentaler Möglichkeiten.
Nach der Ausgabe Dieter Staehelins aus dem Jahr 1975 legt Schott hier eine Urtext-Edition der Ricercari vor. Durch diese wird die ältere Ausgabe keineswegs obsolet: So unverzichtbar es ist, den authentischen Notentext zu kennen, so anregend kann ein Blick in eine mit Ausführungsempfehlungen ausgestattete Edition sein, sofern die Ergänzungen als solche kenntlich gemacht sind. Bedauerlicherweise äußert sich Julius Berger, der immerhin eine CD-Einspielung der Werke vorgelegt hat, hier kaum zu interpretatorischen Fragen, sieht man einmal von dem Hinweis ab, dass die Ricercari 6 und 7 offenkundig für ein diskordiertes Cello in der Stimmung C – G – d – g geschrieben wurden.
Neben dem Urtext enthält diese Ausgabe ein Faksimile der einzig erhaltenen Quelle, einer in Modena aufbewahrten Abschrift. Hier fällt sogleich ein in der Ausgabe leider unkommentiertes Detail ins Auge: die Verwendung von vier verschiedenen Notenschlüsseln. Neben Tenor- und Bassschlüssel finden Altschlüssel sowie ein um eine Zeile transponierter Bassschlüssel Verwendung. Warum? Diente die Lezione di D.G. [i.e. Domenico Gabrielli] à 15 Genaro 1689 – so der Originaltitel der Quelle – pädagogischen Zwecken? Praktische Gründe der Lesbarkeit scheiden aus, finden sich doch daneben Passagen, in denen der Bassschlüssel inklusive Hilfslinien für das höhere Register verwendet wird. Gewiss soll eine moderne Ausgabe heutiger Praxis folgen. Die durchgehende Verwendung des Bassschlüssels in der neuen Schott-Ausgabe stellt jedoch eine deutlich sichtbare Veränderung der Quelle dar, die unter dem Urtext-Gesichtspunkt zumindest erwähnt werden müsste.
Gerhard Anders