Mozart, Wolfgang Amadeus

6 Concerti per il violino

2 CDs

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Oehms Classics OC 862
erschienen in: das Orchester 07-08/2014 , Seite 78

Wenn jemand über die Gattung Violinkonzert von den Anfängen bis ins frühe 19. Jahrhundert Bescheid weiß, dann ist es der ehemalige Barockgeiger Reinhard Goebel, Gründer und Leiter des Spezialensembles „Musica Antiqua Köln“ (1973-2006). Seit fast zehn Jahren ist Goebel nun aber, dem eine dauerhafte Erkrankung das Geigenspiel ab 1990 phasenweise und schließlich dauerhaft unmöglich machte, als Dirigent unterwegs und leitet Opern an großen Häusern und moderne Orchester.
Der Sinneswandel kam überraschend, hatte Goebel doch über gut 30 Jahre als Speerspitze der Alte-Musik-Szene agiert, und das nicht nur musikalisch, sondern auch verbal-polemisch. Doch im Interview bekannte er 2009, dass seine Liebe nun den „modernen Musikern“ gehöre und er lieber den Berliner Philharmonikern beibringe, wie man barocke oder frühklassische Musik heute spielt, als dass er noch mit sogenannten „Experten der Alten Musik“ zusammenarbeite.
Die Bayerische Kammerphilharmonie, mit der Goebel nun sechs Mozart-Violinkonzerte aufnahm, wurde in Augsburg gegründet. Seit 2009 ist Goebel hier Erster Gastdirigent. Die Musiker spielen moderne Instrumente historisch angemessen: Sie tragen nicht mit dickem Ton oder Vibrato auf, formulieren beseelt und lassen sich im Tempo auch gerne mal mitreißen – gerade in angeblich langsamen Sätzen (etwa von KV 216). Freilich aber ist der klangliche und artikulatorische Unterschied zu einem wirklichen Alte-Musik-Ensemble unverkennbar: nicht nur in der Intonation, die hier den modernen Blasinstrumenten geschuldet ist, sondern auch im „Sound“. Moderne Instrumente klingen einfach kräftiger und lauter, vor allem aber weniger fragil als historische. Und diese Fragilität und Veränderlichkeit des Klangs empfindet man heute durchaus als eine Bereicherung der Farbpalette.
Mirijam Contzen ist eine Geigerin von hohem Format. Der legendäre Tibor Varga bildete sie noch aus, und schon 2001 wurde sie als vielversprechende Nachwuchskünstlerin mit gewichtigen Preisen geehrt. Der Ton ihrer Bergonzi-Violine ist stark und unverwaschen, ihre Intonation sauber, Artikulation und Phrasierung sprechen deutlich und singen ganz natürlich. So wirkt ihr Spiel nie verkünstelt, auch in den Kadenzen nicht, die sie selbst zu dieser Aufnahme beiträgt.
Goebels Dirigat ist schwungvoll und vital. Undoktrinär führt der einstige Revolutionär der älteren Musik durch die bekannten fünf Konzerte und fügt noch ein sechstes, KV 271a in D-Dur, hinzu, das bisher als zweifelhaftes Mozart-Werk galt. Goebel erklärt im Booklet zur CD, das man unbedingt lesen sollte, warum er es für authentisch hält: Hier zeigt sich, wie Wissen hilft, Sachverhalte zu klären – und dass die Alte-Musik-Szene seinerzeit ja nicht nur von Musikern bestimmt wurde, die alte Instrumente spielten, sondern eben auch von musizierenden Forschern, die unsicheres Terrain nach Quellen und Dokumenten durchstöberten, die im Schlick der Geschichte versunken waren. Auch das unterscheidet die Pioniere von damals von den meisten heutigen „Originalklang“-Musikern, die an historischen Erkundungen oft wenig Interesse zeigen.
Matthias Roth