Timm, Ulrike

50 Klassiker Orchestermusik

Berühmte Werke aus vier Jahrhunderten

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Gerstenberg, Hildesheim 2004
erschienen in: das Orchester 02/2005 , Seite 70

Ob es um Archäologie geht oder um Comics, um Lyrik oder um Schiffe, die Folge der 50 Klassiker des Gerstenberg-Verlags ist zur Stelle, um eine „Best of“-Auswahl zu bieten. Nun ist also in unserer nach Bildungskanons süchtigen Zeit auch die Orchestermusik an der Reihe. Verantwortlich für den Band zeichnet die Musikerin und Autorin Ulrike Timm, bekannt und mit Medienpreisen ausgezeichnet für ihre Hörfunkreihe Klassik für Einsteiger.
Müßig ist es, die durch die Zahl 50 vorgegebene Begrenztheit des Erfassten zu bemäkeln. Vermerken wir lieber die positiven Überraschungen der chronologisch von Lully bis Berio reichenden Auswahl: Dass neben dem Kultur-„Besitz“ der hehren Art, etwa Beethovens Eroica, Fünfter und Neunter die Schöne blaue Donau von Johann Strauß, Rossinis Ouvertüre zur Diebischen Elster, Gershwins Rhapsody in Blue und Bernsteins Symponic Dances aus der West Side Story gewürdigt werden, zeugt von einem umfassenden, fürs Populäre offenen Kulturbegriff.
Drei bis fünf bebilderte Seiten sind den einzelnen Werken gewidmet, die jeweils Autor, Entstehung, Gehalt und Rezeption charakterisieren, dazu kommt eine Informationsseite mit einer Kurzbiografie des Komponisten. Ergänzend findet der Leser in gerafftester Form Daten zum Werk und zu gleichzeitigen historischen Ereignissen, dazu empfehlende Verweise auf Literatur, CD-Einspielungen, besuchenswerte Stätten und Internetadressen. Die Literaturhinweise beziehen sich meist auf Veröffentlichungen neuesten Datums, und ebenso up to date fallen die CD-Empfehlungen aus, die gerne Interpreten aus dem Bereich der historischen Aufführungspraxis den Vorzug geben.
In Ulrike Timms Texten geht es recht zeitgeistig und journalistisch-zugespitzt zu: Da ist Händel ein „global player“, Schloss Eszterháza ein „Prunkbau in der Pampa“, Mozart ein Komponist, der „Töne kickt wie Billardkugeln“, Rossini ein Manager, der seine Ouvertüren „just in time“ liefert, Berlioz ein „Orchesterjunkie“ und das Berliner Musikleben um 1830 „metropopelig“. Darf man so salopp formulieren? Gegenfrage: Warum denn nicht? Vorausgesetzt, die flotte Schreibe wird nicht Selbstzweck. Man muss Ulrike Timm zugestehen, dass ihr bei aller Fabulierlust überwiegend gehaltvolle Werk-Charakterisierungen gelungen sind. Ihr frischer, zugleich anerkennender wie ironisch distanzierter Blick auf die Tradition überzeugt, vieles wird treffsicher auf den Punkt gebracht, und die Lektüre ihrer Texte bietet auch dem Kenner manch neue Sicht.
Merkwürdig quer zum Text steht die Abbildungsauswahl, die wohl gezielt, um ein Gegengewicht zu bilden, ins Romantisch-Kitschige greift und genüsslich einem antiquierten Geniekult huldigt, der sich in Gemälden des 19. Jahrhunderts ebenso niederschlägt wie in modernen Filmbildern. Fehlerfrei ist kein Buch, so auch dieses nicht: Mal werden Haydn 104 Sinfonien zugeschrieben, mal 106, und Beethovens Eroica erscheint an einer Stelle als 9. (sic!) Symphonie. Etwas gründlicheres Lektorieren hätte die Zahl solch kleiner Pannen verringern können.
Gerhard Dietel

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