50 Jahre Kompositionspreis der Landeshauptstadt Stuttgart

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Stuttgart/SWR 50KPs07, 2 CDs
erschienen in: das Orchester 12/2007 , Seite 88

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war Stuttgart nicht gerade ein Mekka für Neutöner. Das sollte sich erst nach 1945 entschieden ändern. Die Vorarbeit leisteten gewissermaßen die Kollegen der anderen Künste. Mitte der fünfziger Jahre wurde das intellektuelle Klima in Stuttgart von Malern wie Willi Baumeister und HAP Grieshaber bestimmt sowie von Herbert O. Hajek, Anton Stankowski und Max Bill. Das Hörspiel hatte seine hohe Zeit. Beim damaligen Süddeutschen Rundfunk (SDR) firmierte Martin Walser als Hörspielchef. Als Literaturredakteure des Senders waren in jenen Jahren Alfred Andersch und Hans Magnus Enzensberger auf dem Plan. Die Neue Musik kümmerte in diesem Biotop der neuen Künste ein wenig vor sich hin, bis Hans Schumann, damals Kulturamtsleiter in Stuttgart, im Jahr 1954 beschloss, einen Kompositionspreis der Stadt für zeitgenössische Musik auszuschreiben.
So jedenfalls berichtet es Clytus Gottwald im Beiheft zur Jubiläums-CD 50 Jahre Kompositionspreis der Landeshauptstadt Stuttgart, erschienen in Zusammenarbeit mit der Redaktion Neue Musik des SWR Stuttgart. Gottwald kennt diese Szenerie wie nur wenige. Er war Gründer und Leiter der Schola Cantorum (1970-1990), machte sich als Musikpaläograf und Komponist einen Namen. Seine Arbeit als Redakteur des damaligen SDR hat die Neue-Musik-Szene in Stuttgart in vielem entscheidend mitgeprägt.
Quintessenz von Gottwalds Essay zu dieser Doppel-CD, die natürlich nur ein repräsentativer Querschnitt sein kann (Musikauswahl: Hans-Peter Jahn, Leitender Redakteur für Neue Musik, SWR, und Susanne Haist, Landeshauptstadt Stuttgart, Kulturamt): „Diese Freiheit des Komponierens zu erhalten und zu schützen, gehört zu den gesellschaftlichen Pflichten. Insofern ist der Stuttgarter Kompositionspreis kein Luxus, um einigen Künstlern ein Almosen zukommen zu lassen. Er ist eine Investition in die Freiheit.“
Vorliegende Auswahl nimmt die ästhetische Maxime, wie sie Clytus Gottwald formuliert hat, sehr ernst. In dieser Komponistenriege lässt sich niemand finden, dem man in welcher Form auch immer Angepasstheit an den jeweils herrschenden Zeitgeist vorwerfen könnte. Widergespiegelt findet sich in den zehn ausgewählten Werken eine intensive Auseinandersetzung mit den jeweils vorherrschenden ästhetischen Maximen, sei es, dass diese auf hohem Niveau und persönlicher Note ausformuliert sind, oder konterkariert, in eine neue Richtung gelenkt werden. Dass ein Werk wie die Sinfonietta für großes Orchester von Hans Otte (Preisträger 1955) für unsere Ohren heute fast neoklassizistisch anmutet, ist dem mittlerweile mehr als fünf Jahrzehnte großen historischen Abstand geschuldet. Diese Musik muss, ja kann man nicht anders als mit dem historischen Ohr hören. Hingegen Helmut Lachenmanns Consolation I (Preisträger 1968) mag für die Kategorie des zeitlosen Personalstils gelten, ebenso wie die Kammermusik Innere Welten für Violine, Viola und Violoncello von Adriana Hölszky (Preisträgerin 1982).
Quintessenz: Die vorliegenden Aufnahmen spiegeln nicht nur die Geschichte des Stuttgarter Kompositionspreises wider, sie repräsentieren auch ein gutes Stück deutscher Kompositionsgeschichte nach 1945 in ihrer aufregend unübersichtlichen Komplexität.
Annette Eckerle

Diese CD ist kostenlos erhältlich beim Kulturamt Stuttgart, Kulturinformation,
E-mail: kulturinformation@stuttgart.de