Walckiers, Eugène

5 Sonaten für Klavier und Flöte

op. 89, 92, 98, 109 und o. op.

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Ricordi, München 2010
erschienen in: das Orchester 10/2011 , Seite 66

„…a man of real genius“ – so beschreibt Richard Shepherd Rockstro in seinem 1890 erschienenen Buch The Flute den Komponisten Eugène Walckiers und in der renommierten Pariser Zeitschrift Revue et Gazette musicale wird die Erfindungskraft seiner Melodien gerühmt, die „einfach, zierlich, rein und oft sehr glücklich gelungen sind“. In der Tat repräsentiert Walckiers Musik in schönster Weise französische Frühromantik mit „manière de sentir“, dem Ausdruck des Gefühls.
Den meisten Flötisten ist der Name Walckiers völlig unbekannt. Dies könnte sich jetzt ändern, denn beim Ricordi-Verlag sind seine fünf Sonaten in einer wunderschönen Ausgabe erschienen. Dem Flötistenehepaar Ursula und Željko Pešek gilt der Dank für diese Entdeckung in der Library of Congress, Washington. Im Vorwort gibt es ausführliche Informationen über den Lebenslauf Walckiers, der ein äußerst bescheidener und zurückhaltender Mensch gewesen sein muss, was sicher nicht zur Verbreitung seiner Werke beigetragen hat. Er hatte aber Kontakt zu vielen Pariser Musikern, und so ist jede der fünf Sonaten einem Freund oder Kollegen gewidmet, z.B. die 1. Sonate Monsieur Dorus (dem Lehrer Taffanels) und die 4. Sonate Joanes (!) Donjon. Übrigens ist auch überliefert, dass Walckiers in seiner Wohnung zusammen mit dem damals 19-jährigen Paul Taffanel, Firmin Brossa und Joannes Donjon Flötenquartett gespielt hat.
Die fünf Sonaten, allesamt Spätwerke, sind feinsinnige Kammermusik, jede mit unterschiedlichem Ausdrucksgehalt. Jeweils viersätzig, haben die ersten Sätze ausgedehnte Sonatensatzformen, aber mit immer wieder überraschenden Wendungen, ungewöhnlichen Modulationen, ja sogar passacaglia-artigen Teilen. Die Scherzi erinnern in ihrer Leichtigkeit und Brillanz an Mendelssohn und Carl Maria von Weber, oft kontrastieren sie mit ländlerartigen und melancholischen Trios. Seine Begabung für edle Melodien zeigt sich in den langsamen Sätzen, einige mit Variationen, die schon fast Beethoven spüren lassen, wenn sich harmonische Dramatik entwickelt. Der Ausdrucksgehalt der Finalsätze reicht vom schwärmerischen 6/8-Takt der 1. Sonate über tänzerisch-virtuose Sätze – sicher von der französischen Ballettmusik beeinflusst – bis zu Tarantella-Rhythmen der 5. Sonate.
Beeindruckend ist auch sein formaler Ideen- und Erfindungsreichtum, wenn er etwa den Finalsatz der 1. Sonate im pp schließen lässt, das Trio der 5. Sonate in das Scherzo integriert und in den Sonatensatzformen manche Eigenwilligkeiten wie Rubati und Fermaten einbaut.
Bemerkenswert auch solch ungewöhnliche Vortragsbezeichnungen wie avec franchise (frei heraus, mit Selbstvertrauen), avec verve et légèreté (schwungvoll und mit Leichtigkeit) oder lié et avec une expression naiv (gebunden und mit natürlichem Ausdruck).
Das gehaltvolle Flötenrepertoire der Frühklassik ist ja sehr überschaubar und einen großen Teil nehmen Opernparaphrasen und Virtuosenstücke ein. Die nun erhältlichen Flötensonaten von Eugène Walckiers schließen mit ihrer Liebenswürdigkeit, Originalität und vor allem dem emotionalen und musikalischen Ausdruck eine Lücke und bereichern die Bibliothek eines jeden Flötisten.
Thomas Richter