Finkbeiner, Reinhold

33 KurzStücke/Birkenau/Gewalt! – Gewalt?/Von Anfang an suspekt

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Cadenza CAD 800 856
erschienen in: das Orchester 06/2007 , Seite 82

Was den Organisten und Komponisten Reinhold Finkbeiner als Mensch und Musiker bewegt, vertraut er am liebsten Notenblättern an und seinem Instrument. Geboren wurde Reinhold Finkbeiner 1929 in Stuttgart. Als er zehn Jahre alt war, siedelte die Familie nach Berlin über. Die brutalen Repressionen, die Gewalt, denen seine jüdischen Mitbürger ausgesetzt waren, sollten der Wahrnehmung und der Empfindungswelt Finkbeiners ihren Stempel aufdrücken. Bis er sich jedoch in der Lage fühlte, diesen Erlebnissen musikalisch Ausdruck zu verleihen, brauchte es viele Jahre.
Sein Musikstudium begann Finkbeiner im Jahr 1949 an der Musikhochschule Frankfurt am Main. Dort waren Helmut Walcha (Orgel) und Kurt Hessenberg (Komposition) seine Lehrer. In den 1950er und 1960er Jahren kamen ergänzend Studien bei Hermann Heiß hinzu, der zu den Pionieren auf dem Gebiet der elektronischen Musik zu rechnen ist. Außerdem besuchte Finkbeiner von 1953 bis 1960 die Darmstädter Ferienkurse von René Leibowitz und Ernst Krenek. Bei den Ferienkursen wurde unter anderem Finkbeiners Konzert für Kammerorchester von Hermann Scherchen dirigiert. Finkbeiner hatte einen Namen in der Avantgarde. Trotzdem geriet er im trubeligen Musikbetrieb in Vergessenheit, denn er tat lieber seinen Dienst am Orgeltisch der Frankfurter Peterskirche, stets im Dienste der neuen Kirchenmusik.
So sind die vorliegenden Aufnahmen beredtes Zeugnis eines innerlich reich bewegten Komponisten- und Musikerlebens, nicht zuletzt aber auch Spiegel zeitgeschichtlicher Verwerfungen und stilistischer Entwicklungen im Nachkriegsdeutschland. Die 33 KurzStücke für drei Klaviere und einen Pianisten (1999) rekurrieren auf die spieltechnischen Anforderungen einer dreimanualigen Orgel. Das virtuose Spiel eines Pianisten, abwechselnd auf einem modernen Konzertflügel, einem präparierten Flügel und auf einem „ordinären, verstimmten Wirtshausklavier“ benutzt Finkbeiner überdies für eine Reise durch die jüngere Musikgeschichte seit dem 19. Jahrhundert. Neben allerlei Spiel mit Zahlenmystik stellt Finkbeiner durch Zitate aus Beethovens „Mondscheinsonate“ und dessen c-Moll-Klavierkonzert außerdem die gedankliche Verbindung zu Beethovens Diabelli-Variationen her. Doch die Musikgeschichte kommt im musikalischen Raum des Reinhold Finkbeiner lediglich als Nachhall vor, in gewisser Weise beschädigt und ohne den Glanz der unversehrten klassischen Schönheit. Die krude Realität charakterisiert diese Musik stets in aller Schärfe mit Geräuschen aller Arten. Finkbeiner verwahrt sich hier und erst recht in den Kompositionen Birkenau (1997) sowie in Gewalt! – Gewalt? (1988) auf das Genaueste gegenüber dem affirmativen Klang. Zitate von Musiken wie sie von Lagerorchestern bei den Nationalsozialisten gespielt werden mussten, kommen beispielsweise in der Komposition Birkenau vor. Finkbeiner wählt aber auch hierfür bewusst in irgendeiner Weise präparierte, in gewisser Weise derangierte Instrumente aus, damit vom schönen Klang nichts weiter bleibt als eine akustische Fratze, ewig mahnend. Eingespielt sind die Kompositionen Finkbeiners allesamt in vorbildlicher Weise, das heißt so wie sie geschrieben stehen, ohne interpretatorische Attitüde.
Annette Eckerle