Penderecki, Krzysztof
3. Sinfonie für Orchester (1988-95)
Studienpartitur
Im Notenbild dieser Partitur erinnert nichts mehr an den avantgardistischen Aufbruch Krzysztof Pendereckis. Keine neuen Zeichen für Cluster und Glissandi, für Klangflächen und Tremolobänder, für extreme Tonhöhen und Geräuscheffekte, keine aleatorischen Felder. Die Besetzung bleibt ohne Schreibmaschine, Trillerpfeife und Sirene im üblichen Rahmen; nur eine Basstrompete und die umfangreiche Schlagzeugbatterie mit neun Spielern fallen als Besonderheit auf. Nicht mehr Materialerkundung, sondern der dramaturgisch gezielte, auf kontrastvolle Wirkung bedachte Einsatz der Mittel ist Pendereckis Ziel schon seit der 2. Sinfonie (1980), erst recht zu Beginn der 1990er Jahre. Jede seiner acht Sinfonien zeigt diese Variabilität der Formen, Mittel und Stile. Insgesamt vollziehen sie eine Annäherung an die großen Werke Bruckners, Mahlers und Wagners und machen zuletzt auch mit dem Wort das Bedürfnis zu existenzieller Aussage und Botschaft deutlich.
Vor allem die Sinfonien 3 bis 5 prägten den stilistischen Pluralismus aus, wobei dessen Synthesen der Dritten eine besondere Individualität verleihen. Der explosive Bläserhöhepunkt der Passacaglia, auch die 14-taktige Schlagzeug-Sektion und das tumultartige Tutti gegen Ende des Allegro con molto bringen die klanglichen Urgewalten Pendereckis wieder zurück. Und wenn die Dramatik, die akzentuierte Rhythmik und die drängende Dynamik den Bezug zur Oper Die schwarze Maske (1986) betonen, so weisen die ausgedehnten, markanten Solo-Partien für einzelne Instrumente und Orchestergruppen dem Werk auch den Charakter eines Orchesterkonzerts zu. Letzteres hat seinen Grund: Die 3. Sinfonie war als Auftragswerk zum 50. Bestehen des Festspielorchesters Luzern geplant. Allerdings gelangte am 20. August 1988 unter Pendereckis Leitung nur eine Passacaglia für Orchester (samt Rondo) zur Uraufführung mehr hatte der Komponist nicht fertig stellen können.
Die Premiere der kompletten 3. Sinfonie, nun ein Auftrag der Münchner Philharmoniker, erfolgte erst am 8. Dezember 1995, wiederum mit Penderecki am Pult. Das vehemente und virtuose, mit vielen konzertanten Episoden durchsetzte und den abgründigen Tonfall der Schwarzen Maske aufgreifende Rondo sowie die Passacaglia, die über dem lastenden Ostinato von Celli und Bässen das dissonante Klangmaterial der Bläser unentwegt variiert und verdichtet, umrahmen hier ein Adagio. Als Zentrum der fünfsätzigen Form hat es die längste Dauer. Visionen, Reminiszenzen, Aufbegehren und vor der Rückkehr des Beginns trauermarschartige Züge finden im intensiven Melos ihren Ausdruck. Der Orgelpunkt des ersten Satzes Andante löst einen allmählichen Spannungsaufbau aus, der sich nach den Gipfeltönen der hohen Streicher umkehrt; das Scherzo-Finale, mit zwei Trios, strahlt Düsternis, Wildheit, Bedrohung aus; die Coda aber endet kraftvoll mit dem Eingangston f der Sinfonie. Deren Drucklegung nach 20 Jahren würdigt Krzysztof Pendereckis 75. Geburtstag im November 2008.
Eberhard Kneipel