Sandner, Wolfgang (Hg.)

25 Klassiker

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Piper, München 2006
erschienen in: das Orchester 02/2007 , Seite 78

Vor einem Vierteljahrhundert feierten die Frankfurter die Wiedereröffnung ihrer Alten Oper. Das Konzert- und Kongresszentrum war nach einem verheerenden Brand aus der Asche auferstanden. Inzwischen hat es sich längst (wieder) als feste Station im Tourneeplan der Großen des internationalen Musikgeschäfts etabliert.
25 Klassikern gilt die prächtige, von dem Musikkritiker Wolfgang Sandner herausgegebene Publikation. Aufgrund des Formats und der zahlreichen Fotos wird der Eindruck erweckt, es könne sich um einen Bildband für den Kaffeetisch handeln. Doch geboten wird weit mehr. Die Texte sind, ganz wie die sie erhellenden Bilder, von allerhöchster Qualität.
Der demokratische Geist des Traditionshauses findet seine Entsprechung in Sandners Auswahl. Er wollte keinen Kanon schaffen, auch wenn die Porträtierten „einen herausgehobenen Platz in ihrer Kunst“ einnehmen. Die 25 Klassiker umspannen Komponisten (Pintscher, Henze) und Dirigenten (Daniel Harding, Solti oder Gielen), Pianisten (Horowitz etwa), Geiger und Sänger. Daneben werden Ensembles (LaSalle-Quartett, Ensemble Modern) ebenso berücksichtigt wie Tanz (Martha Graham), Chanson (Yves Montand), Jazz (Miles Davis, Albert Mangelsdorff) und der Grenzüberschreiter Frank Zappa.
Einen der zahlreichen Reize des Bandes macht aus, dass es gerade nicht oder nur teils Musikkritiker sind, die hier zu Wort kommen. Wer etwa könnte stilistisch brillanter über Hans Werner Henze schreiben und, dank langjähriger Zusammenarbeit, zugleich informierter als Hans-Ulrich Treichel? Überhaupt gefällt der sehr persönliche Ton der Beiträge. André Heller feiert Jessye Norman in drei knappen Absätzen als „bedeutende Heilerin“, denn an der „Schönheit und Intensität der Schwingungen“ ihres Gesangs könne man gesunden. Elke Heidenreich lernt Leonard Bernstein kennen am Tag, als ihre Katze überfahren wird. Man trinkt auf die Verstorbene, redet über Rossinis Duetto buffo di due gatti, miaut ein wenig, und schon kann Heidenreich, die sich sofort in Bernstein verliebt („wie denn auch nicht!“), wieder lachen.
Das gute Hundert häufig doppelseitiger Duplex-Fotos stammt von hervorragenden Namen wie Erich Auerbach, Barbara Klemm oder Isolde Ohlbaum, die Alfred Brendel am Bösendorfer zwischen Manuskriptbergen und Notenstapeln einfängt, die eigene Karikatur mit dicker Hornbrille ebenso im Rücken wie die bis zu Liszt zurückreichende Ahnenreihe. Brendel, das wird eindringlich deutlich, ist ein Charakterkopf, ganz wie die anderen hier versammelten Künstler auch.
Ein wunderbares Buch für Augen- wie Ohrenmenschen. Nach der Lektüre wird man das Gelesene (und Gesehene) hörend komplettieren wollen. Das kann durch entsprechende Aufnahmen zu Hause geschehen. Im Falle Julia Fischers etwa oder Andreas Scholls mag sich aber bald wieder die Gelegenheit ergeben, diese Klassiker vor Ort zu erleben, in der Alten Oper Frankfurt, die mit diesem Band aufs Schönste gewürdigt wird.
Jürgen Gräßer