Widmann, Jörg

24 Duos

für Violine und Violoncello, Heft 1 und 2

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, Mainz 2010
erschienen in: das Orchester 09/2010 , Seite 62

Kaum eine Musikgattung, die Jörg Widmann in den vergangenen Jahren nicht mit einer Komposition bedacht hätte. Und kaum ein Werk des jungen deutschen Komponisten, das nicht von international erfolgreichen Künstlern oder Ensembles aus der Taufe gehoben wurde. Im Fall des 2. Hefts der vorliegenden 24 Duos für Violine und Violoncello waren es die beiden Brüder Renaud und Gautier Capuçon – die momentan vielleicht beste Formation in Sachen Streicherduo. Und genau diese Qualität von Künstlern setzen die Duos von Jörg Widmann voraus – 24 mehr oder weniger knappe Stücke, die hohe Virtuosität, viel klangliches Vorstellungsvermögen und eine gute Reaktionsfähigkeit erfordern.
Widmann legt die in zwei Bänden zu 13 bzw. elf Sätzen organisierten Duos weniger als unabhängige Studien oder eine Übersicht über die musikalischen Möglichkeiten der Kombination Violine/Violoncello an. Seine Duos sind vielmehr in einen Gesamtzusammenhang gestellt, beziehen sich aufeinander und machen nur am Stück gespielt wirklich Sinn. Widmann nennt zum Beispiel eines der Stücke Frage – und beantwortet diese mit dem nächsten Satz. Insgesamt führt die Entwicklung aber sehr oft über tänzerische Charakterstücke, die auf Kontrastwirkungen, auf Kanten und einen sehr strukturierenden Zugriff setzen. Schaut man sich das Notenbild an, so könnte die kontrapunktische Anlage in Widmanns Kompositionen fast übersehen werden: Unzählige Spielanweisungen geben den Ausführenden minutiöse Vorschriften, wie die 24 Duos klanglich gedacht sind, wie sie nach der Vorstellung des Komponisten ausbalanciert werden müssen. Diese Anweisungen sind so essenziell, dass sie auch in einem deutsch-englischen Glossar im Anhang nochmals aufgelistet werden.
Um die geforderte Balance und die große klangliche Auffächerung in beiden Werkteilen zu erzielen, wird fast das gesamte Repertoire der Tonerzeugung auf Violine und Violoncello herangezogen. Doppelgriffe spie-len dabei eine zentrale Rolle, werden aber durch Pizzicati, verschiedene Anstricharten bis hin zum Geräusch und einen extrem hohen Dynamikumfang ergänzt. Das ganze musikalische Geschehen spielt sich dabei in einem von schnellsten Reaktionen geprägten Kontext ab – teilweise gerade so, als lieferten sich die beiden Protagonisten einen instrumentalen Schlagabtausch.
Für den Konzertgänger ist eine Aufführung der 24 Duos eine spannende Sache. Mit vergleichsweise wenig „Personaleinsatz“ entwirft der Komponist und Klarinettist Jörg Widmann tiefenscharfe, kontrastreiche und sehr farbige Miniatur-Tableaus oder besser: Kurzfilme, die auf sehr kleinem Raum mal lebhafte und impulsive, dann wieder ruhige oder abgründige Geschichten erzählen.
Daniel Knödler