20th Century works for cello & strings

Werke von Witold Lutoslawski, Elizabeth Maconchy, Paul Hindemith, Paul Patterson und Mark Kopytman

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Nimbus NI 5815
erschienen in: das Orchester 10/2008 , Seite 65

Wohl in keiner anderen Konstellation vermag das Cello seine spezifischen Qualitäten so eindrucksvoll und zugleich entspannt unter Beweis zu stellen wie als Soloinstrument im Zusammenspiel mit Streichorchester. Aus dessen homogenem Klang erhebt es als Primus inter Pares seine sonore Stimme und muss sich keinem jener Kampfszenarien stellen, die das Cellistenleben bisweilen belasten, handelt es sich doch sowohl beim modernen Konzertflügel als auch beim sinfonischen Orchester im Grunde um übermächtige Gegner, mit denen ohne beiderseitige Kompromisse – Flüstern auf der einen, druckvolles Spiel auf der anderen Seite – kaum ein Frieden herstellbar ist. Schon aus diesem Grund bietet die vorliegende CD beeindruckende Hörerlebnisse: Wir vernehmen einen Cellisten, der die Kunst beherrscht, sein Instrument selbst in „sperriger Musik“ singen zu lassen, und wir hören eine Begleitmannschaft, die ihn hierin subtil unterstützt.
Doch darin allein erschöpfen sich die Qualitäten der Produktion nicht. Vielmehr umspannen die fünf Werke ein historisches Spektrum, das man als klingenden biografischen Essay des Solisten und seiner Familie deuten könnte: Der 1953 geborene Raphael Wallfisch ist der Sohn jener Anita Lasker-Wallfisch, die als Cellistin im Mädchenorchester Auschwitz den Holocaust überlebte, später nach England emigrierte, zu den Mitbegründern des English Chamber Orchestra gehörte und noch heute mit Lese- und Vortragsreisen als Zeitzeugin auftritt. Vor diesem Hintergrund lässt sich das Programm dieser CD wie eine zeitgeschichtliche Meta-Komposition interpretieren, bestehend aus einem genialen, aus Anlass des Todes des englischen Königs George V. verfassten Gelegenheitswerk des deutschen Emigranten Hindemith, den dunkel getönten Metamorphoses des Polen Lutoslawski, einem durch jüdischen liturgischen Gesang inspirierten Werk des in Russland geborenen und später nach Israel emigrierten Mark Kopytman sowie zwei englischen Kompositionen jüngeren Datums: Epyllion (1975), einer zwischen expressivem Cantabile und dramatischer Energie changierenden Musik aus der Feder von Elizabeth Maconchy, sowie dem – im besten Sinne! – patchworkartigen, hochvirtuosen Cellokonzert (2002) von Paul Patterson.
Wallfischs Celloästhetik ist geprägt vom Ideal des leidenschaftlich-glutvollen Tons, zugleich aber von hohem Sinn für Klangkultur und Klarheit der Form. Die brillante Kadenz des Patterson-Konzerts gelingt ihm ebenso eindrucksvoll wie das schmerzliche Lamento in Kopytmans Kaddish oder die zarten Töne der Hindemith’schen Trauermusik. Maestro William Boughton, bekannt geworden als Gründer und Leiter des English Symphony Orchestra, entlockt dem Südwestdeutschen Kammerorchester über weite Strecken einen durchaus englischen, im Piano samtig timbrierten und dann wieder energisch zupackenden Sound.
Gerhard Anders