Haydn, Joseph / Dmitri Schostakowitsch

2. Cellokonzert / 1. Cellokonzert

Rubrik: CDs
Verlag/Label: hr musik.de hrmk 037-07
erschienen in: das Orchester 04/2008 , Seite 63

Erkenntnisse und Erfahrungen der historischen Aufführungspraxis sind längst kein Geheimwissen mehr. Vielmehr erleben wir zurzeit eine Art Konsensbildung im stilistischen Zugriff auf Musik des 18. und frühen 19. Jahrhunderts, der sich kaum noch ein Solist, Ensemble oder Orchester zu entziehen vermag. Selbst um den Preis, dass hier neben substanzieller Neuausrichtung auch ein gerüttelt Maß Modebewusstsein im Spiel ist, dürfen wir uns darüber freuen, in welch erfrischendem Ton heutzutage etwa ein haydnsches D-Dur-Cellokonzert des Weges kommt. Sämiger Breitwandsound früherer Tage: ade!
Beispielhaft führt das hr-Sinfonieorchester unter dem Alte-Musik-erfahrenen Maestro Grant Llewellyn bereits in der Introduktion vor, wie spielerisch der Brückenschlag vom Gestus der Darmsaiten und alten Blasinstrumente auf ein modernes, flexibles Sinfonieorchester gelingen kann. László Fenyö – Solocellist des Orchesters und Hauptakteur der vorliegenden CD – nimmt den Faden auf und spinnt ihn kongenial weiter, wenngleich sein Spiel durchaus Brüche aufweist: Nicht immer gelingt der Spagat zwischen grundlegender Spielästhetik und Fenyös gelegentlichem Bedürfnis nach solistischer Gebärde alten Schlages, etwa dort, wo der Solist verstärkt zur Vibrato-„Waffe“ greift oder unauthentische Extra-Töne, die bereits Generationen von Cellisten Haydns Text beigemengt haben, nicht verschmäht. Auch der Rückgriff auf altbekannte Kadenzen enttäuscht ein wenig. Dass hier erstklassiges, tonschönes, technisch makelloses Cellospiel zu hören ist, soll indes keinesfalls verschwiegen werden.
Seit 2001 gehört Fenyö dem hr-Orchester an, zuvor hatte der 1975 geborene ehemalige Student der Budapester Musikakademie und Meisterschüler von David Geringas bereits durch Wettbewerbserfolge auf sich aufmerksam gemacht. Seine Eintrittskarte zur Solistenelite erwarb er 2004 mit dem Gewinn des 1. Preises im Pablo-Casals-Wettbewerb. Die ganze Bandbreite seines Könnens demonstriert Fenyö in Schostakowitschs 1. Cellokonzert, einem zwischen skurrilem Witz, Sarkasmus und Schmerzensklage changierenden Werk, dessen vielschichtige Struktur – inklusive Zitatanklängen an jüdische Folklore, Schostakowitschs 8. Streichquartett und sogar an ein Lieblingslied Stalins – in Andreas Mauls Booklettext erhellend dargestellt wird. Die sportiven Elemente in den Außensätzen des cellistischen Parforceritts meistert Fenyö ebenso souverän wie die Lyrismen des zweiten und den ruhevollen, wiewohl technisch höchst anspruchsvollen Kadenzmonolog des dritten Satzes.
Das Bemühen des Booklet-Autors, Haydn und Schostakowitsch über ihre vermeintlich gemeinsame Liebe zu Ironie und Humor gedanklich zu verklammern, sollte indes nicht überinterpretiert werden: Diese hr-Produktion ist in erster Linie eine Personality-CD, ihr Motto lautet László Fenyö – und der spielt sehr gut Cello!
Gerhard Anders