Czernetzki, Leonhard / Doris Fischer
150 Jahre Operette in Leipzig
Dieses Buch ist in angenehmem Maß vor allem eine akribische Dokumentation, und zwar nicht nur im Anhang, und für Liebhaber darüber hinaus eine effektvolle Darstellung mit viel Lokalkolorit und noch mehr Bildern. 150 Jahre Operette in Leipzig widmet sich der leichten Muse an der Pleiße, die dort ein eigenes Haus hat, wie das in ganz wenigen deutschen Städten der Fall ist, und erzählt von vorn bis hinten völlig unkritisch eine spannende und wechselvolle Geschichte. Ein bisschen macht das den Eindruck falsch verstandener Sachlichkeit, die zu allen nett sein will und so weder gewichtet noch notwendige Kausalzusammenhänge herstellt.
Die Musikwissenschaftlerin Doris Fischer hat sich wie der Leser unmissverständlich mitgeteilt bekommt seit Langem mit der Geschichte der Leipziger Operette auseinandergesetzt, und Kammervirtuose Leonhard Czernetzki ist noch viel länger Sachwalter des Genres vor Ort: eigentlich eine Mischung, bei der nichts schiefgehen dürfte, was gleichzeitige Sach- und Vermittlungskompetenz betrifft. Dennoch kommt dieser Band an vielen Stellen nicht über den Charakter einer provinziellen Werbeschrift hinaus, auch wenn Fleiß und Akribie beim Sammeln attraktiver Materialien für sich sprechen.
Das Auf und Ab, das mit Systemwechseln und dem Umzug von einer Spielstätte zur nächsten einhergeht, wird nicht nur emotionslos, sondern auch ohne eigentliche Dramaturgie abgespult, jederzeit erweiter- und wiederverwendbar. Dann und wann scheinen losgelöst Highlights auf, wie die Auftritte von Johannes Heesters, dem die Leipziger ein Pferdegespann schenkten, oder die plötzlich entdeckte Leidenschaft für Robert Stolz, die der Meister und später die Witwe Einzi Stolz natürlich mit Anerkennung beantwortet.
Die vielen Bilder sprechen für sich, denn sie zeugen weitgehend von einer faszinierenden Einfalt in der Vielfalt. Das gäbe Fragen auf. Hier beispielsweise könnte kritische und sozialhistorische Analyse ansetzen. Dafür kann sich der nicht in diese Geschichte involvierte Leser vielfach des Eindrucks nicht erwehren, dass er es da mit Nostalgie pur zu tun hat, mit einem Erinnerungsbändchen, das denjenigen, die irgendwie an dieser Geschichte beteiligt sind, bestimmt Spaß macht (Sieh nur, wie jung der Sänger XY da noch war!)
Letztlich ist das Opus im eigentlichen Textteil genauso nett, oberflächlich und bieder, wie man es der Operette gern zuschreibt. Schade, denn das Genre, das auch spritzig frisch und zeitkritisch sein kann, hätte eine ganze Menge mehr verdient. Eine Werbung, die das Buch offensichtlich vor allem sein will, ist dieser Band lediglich für Ohnehin-schon-Liebhaber. Und auch wenn viel von Operette die Rede ist, ist der Gegenstand dieses Buchs äußerst selten wirklich die Operette.
Tatjana Böhme-Mehner


