Reger, Max / David Timm
100. Psalm / Jazzmesse
Das rührige Ostthüringer Klassiklabel Querstand beweist einigen Mut mit einer neuen CD, trennen die eingespielten Werke zweier Leipziger Universitätsmusikdirektoren doch Welten: Max Regers 100. Psalm op. 106 Jauchzet dem Herrn, alle Welt! und die 2001 bis 2011 in Etappen entstandene Jazzmesse von David Timm. Regers chorsinfonisches Meisterstück spiegelt eine ihresgleichen suchende Begabung, aber auch eine fast schon tragisch zu nennende Kalamität wieder. Diese tiefempfundene, großartig gebaute Musik macht schwerlich ein breites Publikum glücklich, will es wohl auch nicht. Die Hörer
müssen nachher als Relief an der Wand kleben; ich will, dass der Psalm eine niederschmetternde Wirkung bekommt!, schrieb der Komponist seinerzeit an den Dirigenten Fritz Stein. Timm, der seit 2005 das honorige Universitätsamt bekleidet, hat mit seiner Jazzmesse etwas geschaffen, das problemlos ins Ohr geht. In der achtsätzigen Messe finden sich Elemente der Gregorianik, von Bachscher Fugenkunst, Jazz, Rock und Pop, alles achtbar gearbeitete Versatzstücke, die sich allerdings nicht recht zu einem schlüssigen Ganzen formen wollen. Da wird vielleicht mit Ausnahme des unruhig vorwärtsdrängenden Sanctus zu wenig verdichtet, verschmolzen, zu wenig Eigenes gewagt.
Die Psalm-Aufnahme ist ein Mitschnitt vom Eröffnungskonzert des Leipziger Bachfestes 2012. Unter Thomaskantor Georg Christoph Biller musizieren das Gewandhausorchester Leipzig, der Thomanerchor, der Leipziger Universitätschor und Daniel Beilschmidt (Orgel). Auf den Pulten liegt eine als sängerfreundlich geltende Einrichtung des Stücks von Paul Hindemith. Noch hier sind die zu bewältigenden Schwierigkeiten gewaltig die diffizile Harmonik, die artistische Stimmführung, der häufig ausnehmend dicke Orchesterpart. Es spricht für das Format der genannten Ensembles, dass eine hörenswerte, lebendige Einspielung zustande gekommen ist, man Größe und Eigenart der Regerschen Kunst gerecht wird. Das Gewandhausorchester, bekannt für sein unter Riccardo Chailly betont expressives, nicht auf puren Schönklang setzendes Spiel, ist sichtlich in seinem Element, verströmt eine wache, energiegeladene Kantabilität. Die Chöre verschmelzen zu einer kompakten Einheit, erfreuen mit rundem, hymnischem Klang und agilen, glutvollen Crescendi. Biller kostet neben den grandiosen Akkordballungen und fortwährend zu bewältigenden dramatischen Steigerungen auch die lyrischen, selig singenden Momente der Vorlage gebührend aus.
Die Jazzmesse wurde unter Leitung des Komponisten vom Leipziger Universitätschor aufgenommen. Hinzu kommen Clemens Lucke (Orgel) und die Jazzmusiker Reiko Brockelt (Saxofon), Matthias Eichhorn (Bass) und Stan Neufeld (Drums). Geliefert werden authentische Sounds, die Sänger agieren stil- und temposicher und haben hörbar Freude an ihren Aufgaben. Die Jazzelemente sind von solidem Handwerk geprägt. Da hat alles Hand und Fuß, läuft und klingt verschiedentlich freilich ein wenig zu glatt. Wir sind in Leipzig und nicht in Harlem.
Volker Müller