Girolamos Return

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Brauer Radio CD GR 09001
erschienen in: das Orchester 06/2010 , Seite 73

Der CD-Text auf der Rückseite kommt als (ironischer) Historienkrimi daher: „Ob die heilige Cäcilia, Schutzpatronin der Kirchenmusik, eine konspirative Notiz von einem als Engel getarnten Zeitreisenden erhielt: wir wissen es nicht wirklich. Ebenso ungeklärt ist, ob Girolamo Frescobaldi, einer inneren Stimme gehorchend, die Acht-Uhr-Kutsche von Ferrara nach Rom vorzeitig verließ, um so, im Geheimen, außerhalb des Palastes, eine Dame namens Sylvia zu treffen.“
Dieses heimliche Treffen zwischen dem langjährigen Organisten an der römischen Peterskirche und der Dame namens Sylvia lässt das „Berlin Creative Art Orchestra“ auf musikalische Weise wirklich werden. Nicht ganz ernst gemeint, natürlich. Daran lässt schon das Orgelintro des Stücks Sylvia keinen Zweifel, das ein wenig an Mendelssohns Hochzeitsmarsch erinnert. Was hier noch augenzwinkernd als Verheißung daherkommt, scheint knapp vier Minuten später Wirklichkeit geworden zu sein. Girolamo und Sylvia finden sich unter dem Dach derselben musikalischen Idee wieder, nur wird die nun als kraftvoll-rockiger Balladenschluss inszeniert, schlagzeugumtost, mit jaulender E-Gitarre. Zuvor hat der Hörer Gelegenheit, den Flirt zweier musikalischer Welten zu belauschen. Der Song Sylvia des niederländischen Liedermachers Thijs van Leer, eingehüllt in Disco-Sound, wechselt ab mit Klängen eines Streichquartetts nebst Cembalo. Und das Anfangsmotiv der Sylvia-Melodie findet sich nun in einem munteren Renaissancetänzchen wieder.
Klassik trifft Pop, Barock meets Jazz, Bach goes Disco – Begegnungen dieser Art zwischen alt und neu sind Legion, von den Swingle-Singers über Emerson, Lake & Palmer bis zu Waldo de los Rios. Die Botschaft lautet stets: Alle Musiker arbeiten im Grunde an denselben Ideen, nur die Verpackung ist, je nach Zeitstil, eine andere. Also wird Bach zum ersten Jazzmusiker oder Leonhard Cohen zum Schubert der Pop-Ära.
Mit einer ähnlichen Unbekümmertheit springt auch das „Berlin Creative Art Orchestra“ zwischen den Epochen hin und her und feiert Girolamos Return. Der Einfallsreichtum, den die Arrangeure aus eigenen Reihen an den Tag legen, ist allerdings bemerkenswert, die Professionalität des Spiels ebenso. In Out of the palace, der imaginären Szene „vor“ der Begegnung mit Sylvia, trifft Funk auf romantischen Sound aus Streichern und Sopransaxofon, mutiert die rhythmisch scharf akzentuierte Grundierung zur vierstimmigen Fuge. Beinah filmische Atmosphäre bietet der Titeltrack Girolamos Return. Der Meister aus Ferrara tritt hier zu Beginn wie eine geheimnisvolle, rätselhafte Figur aus nebelhaft wabernden Klängen hervor. In Blue Choral nicken sich Bachs Choral Jesu, meine Freude und Dave Brubecks Rondo a la turk zu, in Irish Toccata reisen Elemente der d-Moll-Toccata des Thomaskantors nach Irland und dürfen dort nach Herzenslust als Folkmusic tanzen und in Scarborough Fair sitzt am Schluss offenbar Frescobaldi selbst an der Orgel – oder doch nicht?
Mathias Nofze

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