Mahnkopf, Claus-Steffen

Chorismos

für Kammerorchester, Partitur

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Sikorski, Hamburg 2010
erschienen in: das Orchester 02/2011 , Seite 71

Schon die Besetzung fällt ins Auge: vier Flöten, die auch zu anderen Flöten wechseln, und sieben Violinen, fünf Violen, vier Violoncelli und zwei Kontrabässe. Die Streicher werden auch zu Perkussionisten, wechseln stellenweise ihr Instrument. Eine Vielfalt an Perkussionsinstrumenten kommt zusätzlich ins Spiel. So werden drei Schichten miteinander in Interaktion gebracht: die Flötenschicht, der Streicherblock und die Perkus­sionsschicht, in die einzelne oder alle Streicher sich verwandeln können.
Damit ist ein weiter Klangraum abgesteckt, ein Resonanzraum, der bei voller Ausnutzung des Farbspektrums, bei exakter Einhaltung der in der Partitur vermerkten Artikulationsvorschriften und Spielweisen eine starke klangsinnliche Kraft entwickeln kann. Spielweisen sind äußerst differenziert angegeben – bis hin zu den Fingersätzen der Multiphonics in den Flötenstimmen.
Das Ensemble wirkt zusammen wie ein einziger großer Organismus, der – wie ein Körper – die zahlreichen Tempowechsel wahrnimmt, sich gleichsam zusammenzieht und ausdehnt, wieder schrumpft, wieder an Weite gewinnt etc. Neu überdacht werden die Bezeichnungen „Kammermusik“ oder „Kammerensemble“. Denn es sind nicht eigentlich Einzelstimmen, die hier zu Gehör gebracht werden, sondern unterschiedlich dichte Verbände von Stimmen, die auf immer andere Weise zusammenschießen, sich wieder trennen. Mahnkopf selbst spricht von „den einzelnen Instrumenten zugeordneten Texturtypen“ in den Streichern, einer „Polymorphie“ in den Flöten – neben der eigenen Perkussionsschicht. Tatsächlich sind den Instrumenten – deutlich erkennbar im Notentext – unterschiedliche Gestaltmomente zugeordnet, die individualisierende Funktion haben; gleichzeitig können Instrumente sich aber auch, eben aufgrund dieser klassifizierenden Charakteristika, zu übergeordneten Strukturen
zusammenfügen. Im Partiturbild, zweifellos von kalligrafischer Schönheit, sind dementsprechend Klangfelder zu entdecken, die neugierig auf eine Aufführung machen. Wer das Partiturbild sieht, möchte hören.
Laut Partitur entstand das Werk 1986/87, in einer Zeit also, in der sich Mahnkopf deutlich einer immer komplexeren Musik zuwandte, einer Musik, die an polyfonischer Strenge mehr und mehr gewann. Zugleich beschäftigte er sich mit den Spielweisen der Instrumente, deren Klanglichkeit er akribisch genau erforschte, wobei er diese Kenntnis der Farbnuancen kompositorisch nutzte. Auf ebendiese Entwicklung kann das vorliegende Werk Chorismos exemplarisch verweisen.
Jeder Spieler ist eigenständig in seiner Verantwortung – und fügt sich gleichwohl ein in das Ganze; schwebt dazwischen – zwischen Selbstbehauptung und Integration.
Eva-Maria Houben

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