Wetzler, Hermann Hans
Visionen op. 12/Assisi op. 13
Was haben wir denn hier? Einen nicht mehr ganz frischen Noten-Strauss? Etwas Debussy darunter? Es riecht auch nach Korngold, Strawinsky und Wagner
Der dieses Bukett zusammengebunden hat ist er Tonschöpfer oder Tonsetzer? (Beide Bezeichnungen adeln in der Walhalla an der Donau bei Regensburg die Marmor gewordenen Großen der Notenkunst.) Am ehesten mag unterm Eindruck der von der Chemnitzer Robert-Schumann-Philharmonie interpretierten beiden Stücke “Visionen” op. 12 und “Assisi Legende für Orchester” op. 13 dann doch Tonsetzer auf den Komponisten Hermann Hans Wetzler (1870-1943) zutreffen. Wetzler, unsteter Wanderer zwischen geografischen und musikalischen Welten, setzt auf breit Bewährtes im Konzertleben seiner Zeit. Und setzt um: Impressionen aus dem Genuss literarischer Vorlagen in Töne, gern in unschuldige Harmonien, aber auch ein bisschen Blech darfs schon mal sein. So etwas nennt man für gewöhnlich Programmmusik.
Bei Wetzlers Visionen ist sie indes seltsam angelegt: Nicht sein Werk ist hier Programm, welches den Zuhörer zum subjektiven Mitgehen anstiften will, sondern der Tonsetzer selbst erscheint hier als fremdbestimmt Programmierter. Die erklärte literarische Vorgabe führt allzu strikt die lautmalerische Feder des Komponisten. Und damit der Zuhörer auch ja keine Gedankenflucht begeht, setzt der Meister deutliche Landmarken und Wegweiser, wohin und wie ihm, dem Folgsamen, zu folgen sei. So zitiert er dazu in einer umfassenden Erklärung Literatur von Michelangelo und Dante, gibt auch an, wo gefälligst Raketen und Leuchtkugeln zu hören sein sollen und wo die Vision des Göttlichen.
Ewas anders sein Herangehen bei Assisi. Ein Geschehen, ein Erleben (in diesem Falle die Wanderung des Komponisten zur Wirkungsstätte Franz von Assisis im Jahr 1924) ist schon mehr nachempfunden, mehr schöpferisch interpretiert, als dass nur Stimmung kopiert wird, auch wenn Wetzler es dann doch nicht lassen kann, den Ostermorgen und die Vogelpredigt naturalistisch trillernd mit Holzblasinstrumenten zu unterfüttern. Aber das Publikum war eben verrückt nach solchem Seelenbalsam in der Zeit verblassender Goldener Zwanzigerjahre und um sich greifender Weltwirtschaftskrise, die Konzertsäle diesseits und jenseits des Atlantiks voll bei Wetzler-Konzerten. Hätte es damals schon Radiostationen mit Vulgärklassikprogramm gegeben, seine Kompositionen wären die zeitgenössischen Hits auf den Sendeplänen gewesen, so wie heute das notorische Filmmusikgewaber.
Man sagt dem sächsischen Volke eine ausgeprägte Harmoniesucht nach. Der Chemnitzer Klangkörper bietet mit seiner CD-Einspielung der beiden Wetzler-Stücke dafür die musikinterpretatorische Entsprechung. Und das soll ganz und gar als Lob verstanden sein: Wenn schon diese Tonsetzer-Werke, dann mit der Robert-Schumann-Philharmonie unter Frank Beermann in jener harmonischen Balance zwischen poetischer Transparenz und dramatischer Klarheit, sich dabei zudringlichem Pathos enthaltend.
Günter Höhne


