Mahler, Gustav
Symphonie Nr. 5
Das Interesse an der Sinfonik Gustav Mahlers ist ungebrochen. Während der Zyklus unter der Leitung von David Zinman und seinem Tonhallen-Orchester Zürich sich langsam dem Ende zuneigt, hat Markus Stenz am Pult des von ihm seit 2003 als Chefdirigent geleiteten Gürzenich Orchesters Köln mit der fünften Sinfonie bei Oehms Classics den Startschuss zu einer neuen Gesamteinspielung gegeben. Im Vergleich zu der Sicht Zinmans und seines spätestens seit der hochgelobten Einspielung der Beethoven-Sinfonien international beachteten Orchesters auf die Fünfte (RCA SACD 88697314502) wirkt Stenz zielgerichteter.
Bei Zinman erscheint die cis-Moll-Sinfonie eher rückwärts auf die Zeit einer untergegangenen Romantik hin gesehen, sehr farbenreich, von eher breiten, gelegentlich uneinheitlichen Tempi geprägt. Dagegen wählt Stenz durchgängig etwas zügigere Tempi. Zudem gelingt es ihm, größere Spannungsverläufe klar zu gestalten. Die Fünfte als Zyklus-Auftakt zu wählen, hat auch biografisch nachvollziehbare Gründe, wurde die cis-Moll-Sinfonie doch 1904 unter Leitung des Komponisten, der eine durchaus positive Beziehung zum Rheinland pflegte, mit dem Gürzenich-Orchester uraufgeführt.
Nach den vorhergegangenen Wunderhorn-Sinfonien beschreitet die Fünfte Neuland, das Stenz und sein sehr engagiertes Orchester auszuloten in der Lage sind. Vom wuchtig-geschärften Trauermarsch-Beginn, bei dem Stenz das Kaleidoskopartige weniger in den Vordergrund rückt als das Unerbittlich-Voranschreitende, entwickelt der Kölner Generalmusikdirektor einen musikalischen Sog von großer Kraft. Dem komplexen Scherzo mangelt es zwar etwas am Wiener Zungenschlag, dafür gelingt es Stenz und dem Gürzenich-Orchester, die unterschiedlichen musikalischen Ebenen, die schon auf die Collagetechniken von Charles Ives voraus deuten, zur Einheit zu binden. Das seit der Verwendung in Viscontis “Tod in Venedig”-Film unter Kitsch-Verdacht stehende Adagietto wird von Stenz im Sinne Mahlers als flammende Liebeserklärung an seine Frau Alma interpretiert, wobei der Kölner GMD sich auf die klangfarblich differenzierten Streicher stützen kann. Instrumentale Virtuosität im Rondo-Finale, besonders in den Bläsersoli, verbindet sich in dieser auch aufnahmetechnisch überzeugenden Studioproduktion mit Formsinn und dem Vermögen, komplexe musikalische Verläufe nachzuzeichnen.
Stenz durchaus objektivierender Ansatz steht im Gegensatz zum emotionalen Überdruck, mit denen manche andere Dirigenten sich der Musik Mahlers nähern. Dennoch wirkt die Lesart von Stenz nicht unterkühlt.
Zudem bieten die Musiker aus Köln, ohne ganz in die Liga der großen Mahler-Orchester wie der Philharmoniker aus Wien und Berlin oder des Concertgebouw Orchestra Amsterdam vordringen zu können, einen mehr als diskussionswürdigen Beitrag zur Mahler-Rezeption. Ein Auftakt, der Interesse am Fortgang des Sinfonien-Zyklus weckt.
Walter Schneckenburger