Burianek, Stephan

“Wir stehen mit dem Rücken zur Wand”

Kurz vor seinem 40-jährigen Bestehen hängt immer noch das Damoklesschwert über dem ORF Radio-Symphonieorchester – trotz tatkräftiger Unterstützung durch Publikum und Medien

Rubrik: Zwischentöne
erschienen in: das Orchester 12/2009 , Seite 39

Die Musiker des österreichischen Radio-Symphonieorchesters Wien (RSO) sind wahrlich nicht zu beneiden. „Wenn ein junges Orchestermitglied zu mir kommt, kann ich ihm ein Probespiel bei einem anderen Orchester nicht guten Gewissens ausreden“, beschreibt RSO-Betriebsrat Bernhard Ziegler bitter die Situation. Dabei sind die Konzertkritiken derzeit hymnisch wie selten zuvor.
Unabhängig davon wünscht sich der Österreichische Rundfunk (ORF) scheinbar nichts sehnlicher, als sein Orchester endlich loszuwerden. Der Grund dafür ist simpel: Der ORF, aufgrund von Qualitätseinbußen und sinkenden Zuschauerzahlen in den vergangenen Jahren immer heftiger unter Beschuss, muss sparen. Daran können auch die österreichischen Print- und Onlinemedien nicht viel ändern, selbst wenn sie in seltener Geschlossenheit darin übereinstimmen, dass in einem Land, das seine musikalische Vergangenheit touristisch geschickt verwertet, das einzige Rundfunk-Orchester kaum wegzudenken ist.
Die Erhaltung eines hauseigenen Orchesters betrachtet ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz in diesem Zusammenhang offensichtlich mehr als aus der Tradition entstandenes Übel denn als Potenzial zur Imagepflege. Seit rund einem Jahr steht die Ausgliederung des Orchesters im Raum, neuerdings wird sogar offiziell von „Auflösung“ gesprochen. ORF-Marketingleiter Pius Strobl versucht, in einer Stellungnahme an das Orchester zu beruhigen: „Niemand will das RSO auflösen, es ist ein hervorragendes Orchester, auf welches der ORF stolz ist! Gerade deshalb müssen wir eine Lösung finden.“ Die Lösung, von der Strobl spricht, kann nur in einer höheren staatlichen Subventionierung der Rundfunkanstalt zu finden sein. So mancher kann sich daher des Eindrucks nicht erwehren, dass das Orchester als Instrument im Tauziehen um eine höhere Gebührenrefundierung zwischen dem ORF und der Republik missbraucht wird. Dementsprechend bezeichnet Ziegler das RSO als einen „Spielball zwischen Rundfunk und Politik“.
Das Spiel könnte bald aus sein, denn kaum je­mand zweifelt am festen ORF-Vorsatz, sich in Be­zug auf das Orchester aus der finanziellen Verantwortung zurückzuziehen. Bereits zweimal wurden renommierte ORF-Klangkörper eingestellt: zuerst die Big Band im Jahr 1979, dann 1996 der Chor. Strobl dazu: „Faktum ist, dass der ORF mit seiner Finanzierungstruktur aus Programmentgelten und Werbeerlösen in weitaus höherem Maß von der Finanzkrise betroffen ist als andere öffentlich-rechtliche Medienunternehmen wie zum Beispiel das ZDF oder die ARD.“ Der ORF durchlaufe derzeit den „tiefgreifendsten Restrukturierungsprozess seiner Geschichte“, so Strobl in der Stellungnahme weiter. Ziegler interpretiert das so: „Wir stehen mit dem Rücken zur Wand.“
Glaubt man dem im kommenden Jahr scheidenden RSO-Chefdirigenten Bertrand de Billy, war dieses Thema bereits zu Beginn seines Dienstantritts im Jahr 2002 virulent. Als die ORF-Pläne vor rund anderthalb Jahren kaum mehr abwendbar schienen, warnte de Billy erstmals öffentlich vor den fortgeschrittenen Ausgliederungsplänen. Die mediale Entrüstung war groß, denn das Orchester war unter de Billys Leitung zu einem kompakten Klangkörper gereift. Nicht zuletzt aufgrund des musikalischen Schwerpunkts auf zeitgenössische Komponisten (in der aktuellen Saison sind sieben Uraufführungen geplant) gilt es als fixe Größe im österreichischen Musikle­ben. Auch an internationaler Reputation mangelt es dem Orchester nicht: Im Februar 2010 steht die bereits siebte Japan-Tournee auf dem Programm.
Neben der klaren Positionierung und der internationalen Anerkennung des Orchesters weisen die Befürworter des RSO auch auf den gesetzlich verankerten Kulturauftrag des ORF hin, als dessen wesentlicher Bestandteil ein eigenes Orchester stets betrachtet wurde. Kürzlich ließ der ORF jedoch überraschend mit der Feststellung aufhorchen, dass die Finanzierung eines eigenen Orchesters im Rundfunkgesetz nicht explizit vorgesehen ist. Dieser Paragrafenreiterei möchte das RSO einen Riegel vorschieben und fordert nun eine ausdrückliche Verankerung des RSO in besagter Rundfunkordnung. Eine parlamentarische Medienenquete, die Mitte September 2009 über diverse ORF-Zukunftsszenarien abgehalten wurde, brachte es auf 15 kritische Stellungnahmen, was im RSO als ermunterndes Signal interpretiert wird.
Ein weiteres Argument der RSO-Befürworter betrifft die für die österreichische Bundeshauptstadt einzigartige Positionierung des Orchesters. Ziegler: „Wien gilt als Wiege der modernen Musik. Wie kann es sein, dass jenes Orchester, das sich dieser Musik besonders verschreibt, von der Auflösung bedroht ist?“ Derzeit, so gibt sich Ziegler überzeugt, beobachtet die gesamte Musikwelt, wie es mit dem Orchester weitergeht. Denn der „Fall RSO“ könnte zum Vorboten für andere Rundfunkorchester werden. Daher betont Ziegler immer wieder die weltweite Solidarität von Kollegen aus anderen Klangkörpern, die bisher auf einer mittlerweile schon Kultstatus genießenden Online-Petition unterschrieben haben. Nicht nur namhafte Künstler aus allen Sparten und Dirigenten wie Ronald Runnicles, Sebastian Weigle oder Placido Domingo sind auf der Unterstützerliste zu finden, sondern – und das ist wohl das eigentlich Beachtliche daran – auch eine Namens- und Kommentarflut durch das Publikum. Bereits knapp 31000 Namen umfasst die Petition, die der Violinstudent Johannes Fleischmann im Mai 2009 im online-Netzwerk Facebook startete, um sie bald danach auf eine eigene Homepage zu übertragen. Tendenz steigend. „Das hat es in dieser Form noch nicht gegeben.“
Derzeit verwendet Ziegler – einer zweiten Karriere als PR-Experte stünde bei ihm mittlerweile wenig im Weg – viel Energie darauf, „seine“ Musiker bei Laune zu halten. Dabei könnte ohne die drohende Ausgliederung durch den ORF alles so schön sein: „Wir sind eine eingeschworene Gemeinschaft, die jede Woche etwas gänzlich anderes spielt.“ Das Feuer, das Ziegler im Überlebenskampf entfacht, ist mitreißend. Kürzlich veröffentlichte er eine vom RSO in Auftrag gegebene Studie über die Umwegrentabilität des Orchesters. Demnach fließen die jährlich investierten zehn Millionen Euro dreifach zurück.
Bei einer Pressekonferenz im September 2009 wies Ziegler zudem auf den Schaden hin, den die ORF-Pläne bereits verursachen. Die Bewerbungen seien spürbar zurückgegangen, und schmerz­li­che Abgänge sind bereits zu beklagen. Dadurch entstünden Wettbewerbsnachteile, die sich langfristig auf Qualität und Image auswirken könnten.
Bleibt zu hoffen, dass der ORF auf der Suche nach Möglichkeiten rechtzeitig fündig wird. Ab 2010 übernimmt Cornelius Meister, derzeit Generalmusikdirektor in Heidelberg, den Posten des RSO-Chefdirigenten. Hoffentlich findet er ein zukunftsträchtiges Orchester vor.

> www.onlinepetition.at
> www.rso.orf.at

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