Genzmer, Harald

Zum 100. Geburtstag

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Thorofon CTH 2553, 10 CDs
erschienen in: das Orchester 07-08/2009 , Seite 72

Zehn CDs mit Aufnahmen aus den Jahren 1988 bis 2006; 39 Werke aus der Zeit zwischen 1940 und 2003; dazu eine Ansammlung exzellenter Interpreten: Diese Jubiläums-Edition zum 100. Geburtstag von Harald Genzmer (1909-2007) liefert ein Porträt mit vielen Zügen, wenn auch nicht mit allen Facetten. Orchesterwerke, Konzerte, Klavier- und Kammermusik, Chormusik, Werke für Harfe und Stücke für Kammerorchester belegen den Umfang und die Vielseitigkeit seines Schaffens. Und im Überblick werden Wandlungen und Entwicklungen deutlich. Genzmer, dem Komponieren als „Dienst am Menschen“ galt, blieb mit seinem scheinbar festgefügten Musikdenken und Musizierstil querständig zur Neuen Musik und damit Individualist im Mainstream: „Musik soll vital, kunstvoll und verständlich sein. Als praktikabel möge sie die Interpreten für sich gewinnen, als erfassbar sodann die Hörer.“
Als Schüler Hindemiths und beeinflusst von der Jugendmusikbewegung, mit pädagogischem Impetus und schöpferischem Elan nutzte er viele Anlässe und alle Künste des Handwerks, um sich zu artikulieren. Grenzen überschritt er keine: Herkömmliches Tonmaterial wird, bis in die letzten Werke hinein, fantasievoll ausprobiert, verfeinert und ausgeweitet, Tonalität aber nie infrage gestellt. Formen werden im Bemühen um Fasslichkeit und Wirkung fast modellhaft angelegt und durch wechselnde Konstellationen kontrastvoll belebt: als Sätze mit emphatischer Einleitung und tokkatenartiger Motorik, mit liedhaftem Melos und herber Polyfonie, mit burlesker Spielfreude und virtuosem Glanz.
Aber auch aufschlussreiche Analogien und unvermutete Entdeckungen stellen sich ein! Frühwerke wie die Klaviersonatine (1940) und das Trio (1944) frappieren durch Frische, Inspiration und Eleganz – eine Unmittelbarkeit, die später zunehmend im Kunstcharakter „aufgehoben“ wird. Die Chöre faszinieren mit altem Liedton und poesievoller Lyrik. Den Stücken für Kontrabass wohnt ein ungewöhnlich brillantes Leggiero inne, und die Bagatellen für Violoncello und Kontrabass (1985) nutzen ausnahmsweise Satzüberschriften als „Inhaltsangaben“.
Unter etwa 40 Konzerten für verschiedenste Instrumente findet sich neben denen für Harfe und Orgel eines für Schlagzeug und Orchester (1978) als schönes Beispiel für die Symbiose von thematischer Substanz und koloristischen und rhythmischen Accessoires – effektvoll, doch ohne Show! Der Bühnenkomponist Genzmer (mit den Balletten Kokua und Der Zauberspiegel) aber bleibt außen vor. Ebenso jene Musik für neue Medien, mit denen er Geschichte schrieb und die dieses CD-Porträt ungemein geschärft hätten: 1940 brachte die Uraufführung des Konzerts für Trautonium und großes Orchester durch die Berliner Philharmoniker unter Carl Schuricht und den Solisten Oskar Sala den großen Erfolg. Zwar wurde Genzmer auch als „entarteter Fäulniserreger“ verunglimpft. Doch fortan konnte er sich einen geachteten Platz im Musikleben sichern. In Darstellungen über die Musik des 20. Jahrhunderts aber findet sich sein Name nicht sehr oft.
Eberhard Kneipel

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