Deschewow, Vladimir

Eis und Stahl

Rubrik: DVDs
Verlag/Label: Arthaus 101323
erschienen in: das Orchester 05/2009 , Seite 72

Mit der Wiederentdeckung von Vladimir Deschewows Oper „Ice and Steel“ gelang dem Saarländischen Staatstheater Saarbrücken 2007 eine überregional beachtete Ausgrabung, die nun bei Arthaus auch in einem überzeugenden DVD-Mitschnitt vorliegt. Deschewow, der 1889 geboren wurde und 1955 starb, ist heute nahezu vergessen. In den 1920er Jahren galt er als Hoffnungsträger unter den sowjetischen Komponisten, der auch internationale Anerkennung fand. Mit anderen Komponisten seiner Generation war er auf der Suche nach neuen musikalischen Wegen, die aber, dies musste nicht nur Deschewow in den 1930er Jahren erfahren, bald durch staatliche Unterdrückung brutal abgewürgt wurden.
In der vieraktigen Oper verwendet Deschewow eine expressiv geschärfte Klangsprache. Parallelen zur deutschen Zeitoper der 1920er Jahre drängen sich ebenso auf wie zur Musik des jungen Prokofjew, zu Schostakowitsch oder Mosolov. Collageartiges bestimmt das Werk, oft werden Revolutionslieder zitiert, schneidende Blechbläserattacken, eine dissonante Harmonik, einfallsreicher Schlagwerkeinsatz und kurzatmige Motivik nutzt der Komponist zur Charakterisierung der unterschiedlichen politischen Gruppierungen des Werks.
Ice and Steel handelt von einer der dunkelsten Kapitel der bolschewistischen Revolutionsgeschichte: dem Aufstand der Kronstädter Matrosen von 1921. 14000 Aufständische verschanzten sich in der vor St. Petersburg gelegenen Inselfestung Kronstadt. Ihr Protest richtete sich gegen die katastrophale Versorgungslage, die durch die autoritäre Herrschaft der Bolschiwiki mit hervorgerufen worden war.
Dem Regisseur Immo Karaman und seinem Choreografen Fabian Posca gelang bei dieser Deutschen Erstaufführung in Saarbrücken eine überzeugende Inszenierung, bei der der Einzelne aus der Masse hervortritt, ohne dabei besondere individuelle Züge zu erhalten. Die Typisierung steht im Vordergrund. Im Zentrum steht die Geschichte der regimetreuen Musja, die sich als Spionin in die Kronstädter Festung schleicht, enttarnt und gefoltert wird, um sich am Ende mit den Aufständischen in die Luft zu sprengen. Das Schlussbild zeigt, wie Idealismus in alles zerstörenden Terror umschlägt. Johann Jörg hat dafür ein bewegliches, aus einem Stahlgerüst und bemalten Prospekten im Stile der russischen Kunst der 1920er Jahre bestehendes minimalistisch gehaltenes Bühnenbild geschaffen.
Das Ensemble und der Chor das Saarbrücker Staatstheaters (Einstudierung Pablo Assante) bieten in diesem in der russischen Originalsprache gesungenen Mitschnitt eine imponierende Leistung. Herausragend die kraftvolle Mezzosopranistin Anna Toneeva als Musja, charakterisierungsstark der Tenor Yevgeny Taruntsov, ebenso die Sopranistin Oxana Arkaeva. Der in abseits gelegenen Repertoirepfaden sehr versierte Dirigent Will Humburg animiert das Saarländische Staatsorchester zu einer sehr geschlossenen Leistung. Er gestaltet den stets vorwärtsdrängenden Strom der Musik mit viel Übersicht und sorgt dafür, dass auch in zugespitzten Klangballungen die Details der Partitur angemessen zu ihrem Recht kommen.
Walter Schneckenburger

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