Puccini, Giacomo
Manon Lescaut
Der boomende DVD-Markt gibt inzwischen nicht nur der internationalen Spitze der Opernhäuser Gelegenheit, ihre Produktionen zu präsentieren. So hat die Firma Arthaus begonnen, eine ganze Reihe interessanter Mitschnitte aus Städten vorzulegen, die üblicherweise nicht im Brennpunkt des Interesses von Kritik und reisefreudigem Opernpublikum stehen. Im Fall von Puccinis “Manon Lescaut” aus dem Theater Chemnitz ist dem Label dabei ein Glücksgriff gelungen.
Dabei stand diese Premiere zumindest szenisch unter keinem guten Stern. Infolge der Erkrankung des Regisseurs Dietrich Hilsdorf führte Ansgar Weigner, sein langjähriger Assistent, nach seiner Konzeption Regie. Darf man vermuten, dass manches realistisch-szenische Detail bei Hilsdorf stärker zugespitzt worden wäre, so gelingt Weigner doch eine unsentimentale Sicht auf Puccinis internationalen Durchbruch als Opernkomponist. Die Verlegung in die 1920er Jahre gerät auch dank der stimmigen Bühnenbilder von Dieter Richter und der Kostüme von Renate Schmitzer überzeugend.
Manon ist von Beginn an ein lebens- und geldhungriges Luder, dem man nie abkaufen würde, dass es, wie vom Libretto nach Abbé Prévosts Roman verlangt, auch nur zwangsweise ins Kloster gehen würde. Dass sie es in einer Welt, in der Liebe und Sexualität käuflich ist, mit dem armen (Theologie-)Studenten Des Grieux nur eine kurze Zeit aushält, bevor sie den Lockungen des reichen Geronte (und dem Willen ihres Bruders) nachgibt, wird in der Inszenierung von Weigner auch dank der ausgefeilten Personenzeichnung der Protagonisten stets deutlich. Dass die Genreszenen dabei im ersten und zweiten Akt trotz guter konzeptioneller Ansätze und manch gelungener Details zu behäbig bleiben, stört den Gesamteindruck kaum. Für das Sterben Manons, also den vierten Akt, in der Puccini-Literatur oft als dramaturgisch unmotiviert gescholten, findet Hilsdorfs Regie der vierte Akt wurde noch vor seiner Krankheit ausgearbeitet eine beachtliche Umsetzung. Denn Des Grieux lässt Manon, die ihn immer wieder verraten hat, ohne Hilfe sterben, um sich selbst von dem Dämon dieser Liebe zu befreien.
Frank Beermann, der Chemnitzer Generalmusikdirektor, lässt sein hochkonzentriertes Orchester Puccinis Partitur ohne aufgesetzte Sentimentalität oder melodramatische Drücker musizieren. Die genauen Partiturangaben des Komponisten erfahren eine dramatisch packende, auf große musikalische Bögen und Zusammenhänge ausgerichtete Umsetzung. Dabei kommt die impressionistische Seite der Musik, wie im populären Intermezzo nicht zu kurz: Besonders die Holzbläser sind hier stellvertretend für die Qualitäten der Robert-Schumann-Philharmonie hervorzuheben.
Astrid Weber ist eine singdarstellerisch betörende Manon. Als ihr Liebhaber Des Grieux kann sich Zurab Zurabishvili auf seinen höhensicheren Tenor verlassen. Heiko Trinsinger bietet ein vielschichtiges Porträt des Lescaut, Routa Räsänen singt den reichen Geronte mit schlankem, klar akzentuiertem Bariton. Zum sehr positiven Gesamteindruck der Aufzeichnung trägt auch der von Mary Adelyn Kauffman einstudierte Chor des Theaters Chemnitz bei.
Walter Schneckenburger