Schubert, Franz

Sakontala

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Carus 83.218
erschienen in: das Orchester 04/2009 , Seite 64

Als Schöpfer von Opern hat Franz Schubert damals wie heute nicht annähernd jene Bedeutung erlangt, die er etwa als Liederkomponist einnimmt. Und doch sind im Deutsch-Verzeichnis 21 Bühnenwerke verzeichnet, darunter auch nicht wenige, die der Komponist nach der zeitweisen Beschäftigung mit dem Stoff hat unvollendet liegen lassen. Zu letzterer Gruppe zählt auch “Sakontala” aus dem Jahr 1820, die Vertonung einer von Johann Philipp Neumann seinerzeit in ein Opern-Libretto übertragenen altindischen, um 400 entstandenen dramatischen Dichtung des Kalidasa.
Das in der Wiener Stadt- und Landesbibliothek aufbewahrte Autograf enthält elf Entwürfe zum ersten und zweiten von insgesamt drei vorgesehenen Akten, nur eine Arie und das Finale des ersten Akts sind fertig skizziert. Bei all dem handelt es sich immerhin um mehr als 400 Seiten Schubert’scher Handschrift, vornehmlich ausgeschriebene und textierte Vokalstimmen, gelegentlich mit Vermerken versehen in Hinblick auf Orchestrierung und Harmonisierung. Etwa in der Werkmitte bricht der Kompositionsvorgang mit einem Ensemblesatz abrupt ab.
Es gab schon manchen Versuch, unter Hinzuziehung von Passagen aus anderen Opern Schuberts “Sakontala” zu komplettieren. Der Däne Karl Aage Rasmussen ist im Jahr 2002 einen anderen Weg gegangen und hat bei seiner Neuerschließung der Oper aus Schuberts fragmentarisch vorhandener Musik zu “Sakontala” durch das Nachempfinden von Schuberts Charakteristika der Harmonisierung und Instrumentierung, durch Einschübe von gesprochenem Text aus dem erst jüngst wieder aufgefundenen Libretto Johann Philipp Neumanns und durch das Versetzen von Szenen vom ersten in den unvollendeten zweiten Akt ein schlüssiges Ganzes schaffen können. Bei den Herbstlichen Musiktagen Bad Urach fand Rasmussens “Sakontala”-Rekonstruktion im Jahr 2006 ihre deutsche Erstaufführung.
Die konzertante Wiedergabe mit Vokalsolisten, dem Kammerchor Stuttgart und der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen unter der Leitung von Frieder Bernius wurde seinerzeit vom SWR mitgeschnitten und liegt jetzt – unter Weglassung der gesprochenen Textabschnitte – auf CD vor. Die Aufnahme gibt einen lohnenden Einblick in eine bislang unbekannte Musik Schuberts, die nur selten – etwa in Form unerwarteter harmonischer Wendungen – leise Zweifel am ursprünglichen Geist Schuberts weckt. Auffallend sind die dichten Ensembleszenen, die den Komponisten auf höchstem musikalischen Niveau zeigen. Der positive Eindruck, den die Aufnahme hinterlässt, fußt nicht zuletzt auf der zupackenden, doch ebenso auch den zarten Regungen Raum gebenden Darstellungsweise von Frieder Bernius. Da fügt sich akzentscharfe Prägnanz zu fein gesponnener Geschmeidigkeit und kraftvolle Zeichnung zu liedhafter Schlichtheit. Voller Spannkraft erschließen sich die Ensemblesätze und voller Ausdrucksflexibilität die Arien, in denen sich die vorzüglichen Vokalsolisten mit feinnerviger Verve einbringen. Der Kammerchor Stuttgart lässt es – wie gewohnt – an nichts fehlen, was klare Stimmführung und intonatorische Reinheit anbelangt, und das Bremer Toporchester bleibt dem Instrumentalpart ebensowenig an Raffinement und subtiler Tongebung schuldig.
Thomas Bopp

Page Reader Press Enter to Read Page Content Out Loud Press Enter to Pause or Restart Reading Page Content Out Loud Press Enter to Stop Reading Page Content Out Loud Screen Reader Support