Yuri Simonov Collection

Beethoven: Symphonien Nr. 1 & 4 / Rachmaninow: Symphonie Nr. 2 / Schostakowitsch: The Golden Age / Tschaikowsky: Schwanensee/Capriccio Italien / Berlioz: Symphonie fantastique op. 14 / Rachmaninow: Der Felsen/ Prokofjew: Romeo und Julia

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Russian Music Society, RMS-CD10001 bis RMS-CD10006, 6 CDs
erschienen in: das Orchester 06/2008 , Seite 65

Unter der Ägide der Russischen Gesellschaft für Musik erschien mit verschiedenen Orchestern jeweils unter der Leitung von Juri Simonov eine prächtige Sammlung von zwischen Mai 1994 und Oktober 2003 aufgezeichneten Livemitschnitten auf insgesamt sechs CDs.
Die Sinfonien Nr. 4 in B-Dur und Nr. 1 in C-Dur von Beethoven eröffnen den eindrucksvollen Reigen mit Musik unterschiedlichster Couleur. Man braucht nicht lange und kein geschultes Ohr, um die hohe Qualität des Moskauer Philharmonischen Orchesters zu hören. Die Tempi der Sinfonien haben etwas Würdevolles an sich, die Klangbalance und die Homogenität im Zusammenspiel sind natürlich, ehrlich und ausgewogen, ohne angestrengt zu wirken. Bei genauem Hinhören spürt man aber auch den etwas anderen Zugang der russischen, recht warmherzigen Interpretation, in der die klare, apollinische Größe einer gewissen Schwüle im Ton weicht. Professionell gelassen hat Dirigent Juri Simonov das Weltklasse-Orchester im Griff, das sehr gut reagiert. Eine CD zum Warmwerden, bevor man zur nächsten Aufnahme greift.
Rachmaninows Sinfonie Nr. 2 in e-Moll op. 27 stellt sich als ein kaum mehr zu überbietender Höhepunkt russischer Interpretationskunst dar. Der lange Bogen, die schwärmerische, tiefgründige Leidenschaft verbreitet sich bereits im kaum enden wollenden ersten Satz brucknerscher Länge. Vielleicht ist es auch die in Musik vertonte, wunderbar verklärte Mischung aus leichter Sentimentalität, innerer, suchender Hast und unendlicher, gefühlstiefer Leidensfähigkeit des Allegro-Satzes, welche insbesondere das russische Blut in schwelgerische Wallung zu bringen scheint, die ansteckt und die Sinfonie zum Leuchten bringt. Der elegische Ton und die teilweise brütende Schwermut, die über dem hinreißend und hingebungsvoll gespielten Werk liegt, wird von allen Musikern, auch vom Solisten auf der Klarinette im langsamen Satz, voll und beseelt ausgekostet. Leider ist dieser dritte Satz im auf Englisch verfassten Booklet versehentlich als zweiter notiert. Im teilweise mit trunkener Ausgelassenheit komponierten Schlusssatz ist einem, als ob Rachmaninow seine Zweite den Moskauer Philharmonikern auf den Leib geschrieben hätte und als ob Juri Simonov besonders gut in die mit großartigem, dunklem Timbre und subtil instrumentierte Partitur hineingehorcht hätte.
Das genaue Gegenteil ist die Aufnahme vom 1929 entstandenen Ballett Das Goldene Zeitalter des jugendlich-feurigen Dmitri Schostakowitsch. Heiter, scharfzüngig und ironisch instrumentiert und von Simonov und dem Orchester des Bolschoi-Theaters bestens, mit sehr viel dynamischer Akkuratesse und großer Spielfreude umgesetzt. Eine wahre Freude, da zuzuhören, wo atemlose und kurzweilige 107 Minuten wie im Flug vergehen. Manches ist – bis hin zur kaum auszuhaltenden Groteske und herrlich abstoßenden Scheußlichkeit – mit überschäumendem, süffigem Witz überzogen. Aus seinen beiden Klavierkonzerten oder seiner berühmten Adaption des Tahiti-Trott zitierend, die später mit in die Partitur einflossen, meint man seine gewisse Selbstironie herauszuhören. Die mit allerlei Instrumenten und mit vielen Überraschungen versehene, sehr beredte Musik sprüht nur so von unterschiedlich spritzigen, leicht-tänzerischen, grell-farbigen und derb-burschikosen Einfällen mit Anleihen aus der damaligen, futuristischen Maschinenmusik à la Alexander Mossolow und heute harmlos anzuhörenden Jazzklängen. Heutige Filmmusik wirkt gegen solch ein geistreiches Feuerwerk blass und einfallslos.
Tschaikowskys Ballett Schwanensee ist ein Muss für solch eine russische Reihe, welche entspannend mit großem Unterhaltungswert daherkommt. Von Simonov eigens zu einer geschmackvollen Suite unabhängig vom dramaturgischen Verlauf zusammengestellt und erneut von den Moskauern zu Gehör gebracht, erfüllt sie einige erwartungsvolle Höhepunkte wie beispielsweise den berühmten Walzer. Die Tempi einiger Nummern sind recht stramm wie das des „Danse Espagnole“. So ist es nur plausibel, nach der knapp einstündigen, mühelos anzuhörenden Musik das ebenfalls leichtfüßige Capriccio Italien op. 45 folgen zu lassen und die CD gut gelaunt abzurunden.
Bereits 1994 nahm Simonov mit dem traditionsreichen Slowenischen Philharmonischen Orchester Hector Berlioz’ Symphonie fantastique op. 14 auf. Es scheint doch eine gewisse Wesensverwandtschaft der russischen Seele mit dem französischen Esprit zu existieren, da das Werk in bestechender Prägnanz und hoher Musikalität zu Gehör gebracht wurde. Hervorragend zum Leuchten gebracht werden die jeweils entgegengesetzten Charaktere und noch behutsamen Stimmungen der ersten beiden Sätze. Ebenso genial stellt sich die musikalische Umsetzung des ergreifenden, mitfühlenden und süßen, dennoch nicht süßlichen Dialogs zwischen Oboe und Englischhorn im langsamen Satz heraus, aber auch der martialisch-dramatische „Gang zum Richtplatz“ sowie der gespenstische „Hexensabbat“. In der Langsamkeit ihrer affektbetonten Interpretation gewinnt die Aufnahme eine selten gehörte Ergriffenheit, welche ihresgleichen sucht und wegweisend werden könnte.
Die letzte CD in der besonderen Kollektion kehrt mit Rachmaninows Symphonischer Fantasie Der Felsen op. 7 und Sergej Prokofjews Ballettsuite Romeo und Julia noch einmal zum russischen Œuvre zurück. Ähnlich wie bei der 2. Symphonie zeigt die Moskauer Philharmonie ihre beseelt-großzügige und leidenschaftliche Spielweise und bringt die Fantasie mit Simonov akkurat und ergreifend zum Tönen – und empfindet damit die Vertonung des Gedichts von Lermontow in fantastischer Weise nach. Wie bei Schwanensee stellte der Dirigent auch die herrliche Musik zu Romeo und Julia zu einer Suite zusammen, von 52 auf zwölf Nummer überschaubar verkürzt und erneut relativ unabhängig vom inneren Verlauf und auf diese Weise eine eigene Dramaturgie im Zeitraffer schaffend. Je nach Charakter werden sie einmal frisch, dann sehr anmutig wiedergegeben. Das Orchester bietet intensive Großartigkeit und Höchstleistungen.
Diese ohne „Durchhänger“ zusammengestellte Kollektion aus hervorragenden und teilweise einzigartigen, bereichernden Einspielungen in vitaler Lebendigkeit gehört in jede anspruchsvolle CD-Sammlung.
Werner Bodendorff

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