Aufbruch ins dritte Jahrtausend

Uraufführungen 2004-2006

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Mittelsächsische Theater und Philharmonie gGmbH 2007
erschienen in: das Orchester 06/2008 , Seite 62

Wenn, wie bei der vorliegenden CD, vom „Aufbruch“ die Rede ist, dann suggeriert das etwas Neues, nie Dagewesenes. Etwas unbescheiden wird gleich das dritte Jahrtausend bemüht, wo man es angesichts der Kurzlebigkeit „moderner“ E-Musik vermutlich auch mit dessen erstem Jahrhundert hätte bewenden lassen können. Welche Uraufführungen also stehen für diesen „Aufbruch“, welche Epoche ist nach Moderne und Postmoderne angesagt? Die Antwort der hier versammelten Kompositionen: Auf in die Retro-Moderne!
Am Beginn der CD steht Oliver Kortes Lichtstück, worin er selbst sich von Bach beeinflusst sieht. Der Nur-Hörer nimmt in der programmatischen Komposition mit ihren irisierenden Lichttupfern aber doch eher einen Bernd Alois Zimmermann, noch mehr: einen Hindemith wahr.
Susan Oswell macht bei ihrem Tango on the rocks aus ihrer Herkunft vom Tanz keinen Hehl. Sie will nach eigener Aussage den Tango nicht neu erschaffen, sondern über ihn erzählen. Das aber geschieht auch bei ihr wesentlich mit Rückgriffen auf die Postmoderne: Alfred Schnittke lässt grüßen!
Alois Bröders mit Vingt moments betitelte 20 Miniaturen, deren keine länger als ein Notenblatt ist, verstehen sich als „ein Plädoyer für assoziatives Hören“. Auf programmmusikalische Ausrichtung verweisen die Bezeichnungen der einzelnen Stücke wie „stürmisch“, „wie von fern“, „suchend“, „sehnsüchtig“ oder „intim“. Bei der Uraufführung 2005 (warum nicht in dieser Form auch auf der vorliegenden CD?) wurden die Miniaturen „verzahnt“ mit Anton Bruckners „nullter“ Symphonie zu Gehör gebracht, als ein „Zusammenklingen des Nichtzusammengehörenden“. Ganz so neu ist diese Idee freilich ebenfalls nicht (wenn auch von völlig anderer Faktur!): Im Jahr 1971 schon beschwor Gottfried von Einem den großen Österreicher in seinem originellen und publikumswirksamen Bruckner Dialog.
Programmatisch geht es auch bei dem Brasilianer Fernando Morais zu, wenn er in unverkennbar neoromantischem Duktus die Geburt der in tausend Tagen aus dem Boden gestampften Hauptstadt seines Landes nachzeichnet. Was bisweilen auch ein bisschen nach Filmmusik klingt – aber die kann ja auch ganz schön sein!
Den Schluss der CD nimmt noch einmal Oliver Korte für sich in Anspruch. In seinem vitalen, mit Ways and Walls betitelten Konzert für Orchester sieht sich der Komponist selbst in einer Prokofjew-Tradition, wenn er es als seine „Symphonie classique“ bezeichnet. Auch hier jedoch findet der Erbsen zählende Kritiker vor allem Spurenelemente von Zimmermann, Schostakowitsch oder sogar Hanns Eisler.
Friedemann Kluge

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