Wojnarowicz, Gernot (Hg.)
Menschen für Musik
50 Jahre Philharmonie Südwestfalen
Der 50. Geburtstag eines Orchesters ist gewiss ein Grund zum Feiern. Bei solchen Gelegenheiten werden stets Erinnerungen wach: an herausragende Konzerte, an kuriose Erlebnisse, an prägende Dirigenten. Oft erscheint dann eine Festschrift, in der Anekdoten erzählt und Erinnerungsfotos gezeigt werden. Auch in jenem Band, den die Philharmonie Südwestfalen anlässlich ihres Goldjubiläums präsentiert. Dies aber nur am Rande. Deshalb ist der Band weit entfernt vom Charakter einer Festschrift.
Menschen für Musik so der Titel der gediegenen, fast 200 Seiten starken Publikation liefert mehr als nette Plaudereien. Es geht um die wirklich spannende Entwicklung eines Orchesters, das quasi aus dem Nichts heraus entstand, nur kurze Zeit, nachdem das Krachen der Bomben des Zweiten Weltkriegs endlich verstummt war.
1946 startete der Militärmusiker Friedrich Deisenroth die Initiative zur Gründung einer Orchesterschule im siegerländischen Hilchenbach, aus der die Hilchenbacher Volksmusikschule erwuchs mit angeschlossenem Orchester, in dem Berufsmusiker ausgebildet werden sollten und wurden. 1957 schlug dann die Geburtsstunde des Siegerland-Orchesters, das sich dezidiert als Nachwuchsorchester verstand. Und dies blieb es bis in die Mitte der 80er Jahre hinein, bot also jungen Hochschulabsolventen die Möglichkeit, unter professionellen Bedingungen Erfahrung zu sammeln. 1969 beispielsweise lag das Durchschnittsalter der Sinfoniker bei 24 Jahren!
Spannend zu lesen ist, wie sich die Siegerländer in den ersten zehn, zwölf Jahren ihres Bestehens immer und immer weder haben durchhangeln müssen und um ihre Existenz zu kämpfen hatten. Da bedurfte es ganz konkreter Menschen als Motoren, vor allem der leidensfähigen Orchestermusiker.
Krisen, auch hausgemachte, gab es bei den Hilchenbachern genügend. Die werden schonungslos benannt. Dennoch ging es weiter an dem Standort im abgelegenen, verkehrsfernen Siegerland. Zehn westafrikanische Staaten begrüßten 1970 das Orchester als erstes klassisches auf dem schwarzen Kontinent. Und im Jubiläumsjahr 2007 machten sich die Musiker auf nach China.
Die Orchestergeschichte, im Buch aufgeteilt in vier Abschnitte, liest sich mitunter wie ein Krimi, weil absolut lebendig geschrieben. Michael Struck-Schloen liefert süffisante, im besten Sinne sophisticated daherkommende Notizen, wie denn wohl ein neues, junges Publikum gewonnen werden kann. Intelligente Impulse, sich über das gewöhnliche Konzertleben, seine Programme, vor allem aber auch seine Vermittlung Gedanken zu machen, bietet ein Beitrag von Wolfram Goertz. Interessant auch die Hinweise zur 2006 gegründeten Stiftung Philharmonie Südwestfalen, ein Lehrstück in Sachen Private-Public-Partnership.
Welchen gesellschaftlichen und kulturpolitischen Stellenwert die Philharmonie Südwestfalen einnimmt, illustrieren nicht zuletzt zwei höchst lesenswerte Interviews mit Politikern, Künstlern, Förderern und Managern.
Christoph Schulte im Walde


