Bruckner, Anton

Symphony No. 3

First version 1873

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Hänssler CD 93.217
erschienen in: das Orchester 09/2008 , Seite 68

Die erste Fassung der dritten Sinfonie in d-Moll von Anton Bruckner, die Richard Wagner gewidmet ist und in der einige Zitate aus Musikdramen Wagners zu erkennen sind, war lange Zeit fast unbekannt. Erst 1977 wurde sie ediert. Im Repertoire der meisten Dirigenten ist die dritte, im Vergleich zur Urform sehr gestraffte Fassung von 1889, gelegentlich die noch etwas ausführlichere Version von 1877. Vom langsamen Satz existiert zudem noch eine eigenständige vierte Version zwischen denen von 1873 und 1877. Die einzige Einspielung der Erstfassung war lange Zeit die Anfang der 1980er Jahre entstandene Aufnahme mit dem hr-Sinfonieorchester Frankfurt unter Eliahu Inbal. Doch in den vergangenen Jahren wächst das Interesse an der Urgestalt der „Wagner-Sinfonie“ von Bruckner, die von bemerkenswerter Originalität, ja Radikalität ist. Gerade in ihren gewaltigen Ausmaßen bringt sie die Absichten des Komponisten zu diesem Werk besser als alle folgenden Umarbeitungen zur Geltung. Unter anderem haben Kent Nagano und Simone Young die „Ur-Dritte“ aufgeführt und auf CD eingespielt.
Vor allem aber hat sich Roger Norrington schon vor über zehn Jahren des Werks in der Erstfassung angenommen. 1995 entstand eine Aufnahme unter seiner Leitung mit den London Classical Players auf historischen Instrumenten. Drei Jahre später trat Norrington sein Amt als Chefdirigent des Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart des SWR an, mit dem er seither kontinuierlich das klassisch-romantische sinfonische Repertoire in historisch informierter Aufführungspraxis und dem längst legendären vibratolosen „Stuttgart Sound“ mit einem traditionellen Orchesterapparat neu erarbeitet, aufführt und in CD-Einspielungen dokumentiert. In der Saison 2006/07 begann er mit einem Bruckner-Zyklus. Als erste CD liegt die Einstudierung eben der dritten Sinfonie d-Moll vor. Die Sinfonien 4 und 6 werden folgen.
Durch das vibratolose Spiel und die dadurch erzielte Transparenz des Klangbilds sowie die verstärkte Beredsamkeit in Artikulation und Phrasierung gelingt Norrington mit dem sehr detailgenau und differenziert musizierenden RSO Stuttgart ein Bruckner-Bild besonderer Art. Eines, das die Modernität in der Kompositionsmanier des Meisters von St. Florian nachhaltig unter Beweis stellt und viele sonst kaum zu vernehmende Facetten der Partitur offenbar werden lässt.
An die Stelle von Weihe und Pathos treten hier leuchtende Klarheit der Faktur, eine seltene Tiefenschärfe und Plastizität des Klangs sowie eine feine, im Adagio auch innige Empfindung: Reinheit im Ton und im Ausdruck. Wie der legendäre Günter Wand will auch Roger Norrington – wenn auch mit etwas anderen Mitteln – die Bedeutung des Sinfonikers Bruckner erhellen. Das gelingt ihm hier sehr eindrucksvoll, zum Beispiel im Seitensatz des Finales, das dank eines fließenden Tempos den Kontrapunkt von Choral und Polka effektiv zur Wirkung bringt.
Karl Georg Berg

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