Stiftung Berliner Philharmoniker (Hg.)

Variationen mit Orchester

125 Jahre Berliner Philharmoniker

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Henschel, Berlin 2007
erschienen in: das Orchester 09/2008 , Seite 60

Ganz sicher unvergesslich und bis heute sehr berührend war für alle Beteiligten das Sonderkonzert des Berliner Philharmonischen Orchesters am 12. November 1989 für DDR-Bürger in der Philharmonie. Die Konzertbesucher erhielten kostenlose Eintrittskarten gegen Vorlage ihres DDR-Ausweises. Die Musiker spielten ohne Gage. Solist und Dirigent war Daniel Barenboim. Damit hat das Orchester große Sensibilität und Klugheit bewiesen. Und dieses Gespür für das, was kulturell und musikalisch möglich ist, ließen die Berliner Philharmoniker auch zu anderen Zeiten immer wieder zutage treten.
Auch die Gründung kann darauf zurückgeführt werden, dass es Musiker und Musikförderer gab, die die Gunst der Stunde nutzten. Die politischen Vorbedingungen der Reichsgründung von 1871 mit der daraus resultierenden wirtschaftlich dynamischen Entwicklung waren förderlich für die Gründung und das Rechtssystem der Berliner Philharmoniker. So ist es auch rückblickend sehr aufschlussreich, Zusammenhänge zwischen politischen und kulturellen Entwicklungen nachzuvollziehen.
Es finden sich auch aufschlussreiche und faszinierende Details wie z.B. die Schilderung des Aufruhrs, der sich an einem einzelnen Konzert entzündete: „Eine Welle der Empörung brandete auf, als Joachim 1879 die Synagoge in der Oranienburger Straße für ein Beethoven-Konzert nutzte; erst der Kaiser, der diese Veranstaltung mit seinem gesamten Hofstaat demonstrativ besuchte, brachte die Kritik zum Verstummen.“
Hervorzuheben ist auch, dass die Berliner Philharmoniker immer wieder Mut zur Innovation zeigten, z.B. als sie, was heute schon vergessen ist, den damals noch nahezu unbekannten Arthur Nikisch engagierten. „Für unsere heutigen Begriffe ist es ein schier unglaublicher Vorgang, dass ausgerechnet dieses von den Grundsätzen der Selbstbestimmung und Demokratie geprägte Orchester einen Chef akzeptierte, den es überhaupt nicht kannte – man kaufte gewissermaßen die Katze im Sack.“
Erfreulicherweise gibt sich die Jubiläumspublikation nicht zu abgehoben, um nicht etliche Anekdoten aus der Idolatrie rund um Karajan zu beschreiben. Ebenfalls durchaus unterhaltsam, teilweise auch amüsant liest sich die Schilderung des lange schwelenden, immer wieder auch ausbrechenden Konkurrenzkampfes zwischen Furtwängler und Karajan.
Die Autoren – überwiegend Berliner Musikjournalisten und -wissenschaftler – haben gründlich recherchiert, Archive durchforscht, die Fakten zusammengetragen und kenntnisreich kommentiert. Interviews mit Musikern geben der Publikation Lebendigkeit. Der zweite Band enthält Biografien sämtlicher nachweisbarer Musiker und Werklisten dessen, was die Berliner Philharmoniker von 1982 bis 2007 (ur)aufgeführt haben; den studiert sicher nur der wahre Fan.
Die bibliophil gestaltete Festschrift ist lesenswert für jeden, der an Berliner und deutscher Kulturgeschichte interessiert ist. Wer nicht alle 800 Seiten lesen will, kann sich an dem hochwertigen und umfangreichen Bildmaterial (680 Abbildungen, davon 180 farbige) erfreuen.
Viola Karl

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