Wagner ohne Worte

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Genuin GEN 87095
erschienen in: das Orchester 01/2008 , Seite 63

„Nachdem er das unsichtbare Orchester geschaffen, wolle er auch das unsichtbare Theater erfinden!“ So die von Cosima Wagner in ihren Tagebüchern überlieferte Klage Richard Wagners nach den ersten Bayreuther Festspielen. Das lässt tief blicken! Da er selbst immer wieder in Konzerten rein orchestrale Passagen aus seinen Werken aufführte, ist es durchaus legitim, Wagners Werke ohne Worte wiederzugeben. Die Idee, rein instrumentale Ausschnitte aus den Opern von Richard Wagner aufzunehmen, ist indes nicht neu. Das haben Fritz Reiner mit dem Chicago Symphony, Leopold Stokowski mit dem London Symphony Orchestra, George Szell mit dem Cleveland Orchestra, Georg Solti mit den Wiener und Lorin Maazel mit den Berliner Philharmonikern bereits vor Jahren getan unter eben dem Titel Wagner ohne Worte.
Rafael Frühbeck de Burgos, der sich spätestens in seiner Generalmusikdirektorenzeit an der Deutschen Oper Berlin als lautstarker Wagnerianer zu erkennen gab, hat mit seinem neuen Orchester, der Dresdner Philharmonie, nun auch einen Wagner ohne Worte aufgenommen, rechtzeitig zu den Bayreuther Festspielen 2007. Es ist eine Konzertaufzeichnung vom September 2006 mit Auszügen aus der Götterdämmerung, aus Tristan und Isolde und aus den Meistersingen von Nürnberg. Frühbeck de Burgos lässt sich enorm viel Zeit. Er zelebriert einen pathetischen Wagner. Er legt zwar viel Wert auf klare Strukturierung und fein ziselierte Modellierung der Partitur-Details. Das traditionsreiche Orchester spielt tadellos und klangschön. Aber es mangelt ganz entschieden an Straffheit, an Spannung und Raffinesse der Gestaltung. Man höre sich nur einmal Leopold Stokowski an!
Die Tempi dieser Dresdner Interpretationen sind zweifellos zu breit, zumal, wenn man beherzigt, dass schon Wagner selbst die zu seiner Zeit vorherrschenden Tempi der meisten Wagnerdirigenten viel zu langsam fand. Rafael Frühbeck de Burgos’ Wagner „schwitzt“, um es mit Worten Nietzsches zu sagen. Darf Wagners Musik „schwitzen“? Nein! Wer denn unbedingt Wagner ohne Worte will, wem also der ganze Wagner zu lang, der ständige Gesang zu laut und der Text zu kompliziert ist – hartnäckige Vorurteile, die ebenso bekannt wie falsch sind –, dem sei die alte, aber mitreißende CD von Fritz Reiner und dem Chicago Symphony Orchestra eher empfohlen als die neueste, langweilige von Rafael Frühbeck de Burgos und der Dresdner Philharmonie mit Kostproben aus einem falsch verstandenen Wagner-Œuvre.
Dieter David Scholz

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