Paradisi Gloria: Stabat Mater

Francis Poulenc / Karol Szymanowski / Krzysztof Penderecki / Wolfgang Rihm

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Hänssler, PH 04035
erschienen in: das Orchester 12/2004 , Seite 90

Seit dem Heiligen Jahr 2000 bestreitet das Münchner Rundfunkorchester eine verdienstvolle Konzertreihe in Münchner Kirchen „für selten gespieltes Repertoire mit spirituellem Anspruch“, also mit mehr oder weniger religiöser Musik des 20. und 21. Jahrhunderts. Deren Titel „Paradisi Gloria“ besteht aus den letzten zwei Worten des Stabat Mater, jener Mariensequenz des Jacopone da Todi aus dem 13. Jahrhundert über die am Kreuz Christi stehende Gottesmutter, die gerade im vergangenen Jahrhundert als dem Jahrhundert des Leidens der Menschheit immer mehr Komponisten inspiriert hat.
Die Auswahl der vier Livemitschnitte ist bestechend: Es gibt zwei längere Vertonungen (etwa 25 Minuten) des Stabat Mater von Francis Poulenc (1950/51) und Karol Szymanowski (1925/
26) und zwei kurze, etwa fünfminütige aus größeren Werken von Krzysztof Penderecki (1962, seit 1966 Teil der Lukas-Passion) und von Wolfgang Rihm (der im Jahr 2000 für sein Deus Passus ebenfalls das Lukas-Evangelium als „das am wenigsten antisemitische“ wählte). Zwei aus Westeuropa (Poulenc, Rihm), zwei aus Polen (Szymanowski, Penderecki). Drei für Soli, Chor und Orchester, das von Penderecki für drei gemischte Chöre a cappella.
Bei aller nationalkulturellen und stilistischen Vielfalt verwenden die vier Werke verblüffend ähnliche kompositorische Mittel, vor allem eine raffiniert „verschwommene“ Harmonik: Tonalität ist mehr oder weniger spürbar, aber mit Medianten oder gleich ganz unbestimmbaren Akkorden getrübt, dazu kommen häufige Taktwechsel. Die Stimmung ist überwiegend kontemplativ, nur bei Poulenc gibt es kraftvolle Rhythmen und sogar eingängige Melodien. Drei sind Schlüsselwerke ihrer Komponisten. Beispielsweise beansprucht Penderecki für sein Stabat Mater das erste Beispiel der Polystilistik: Ostinati, Clusterbildungen und (kanonische) Rezitationen münden – auf „(Paradisi) Gloria“ – in einen strahlenden D-Dur-Akkord.
Bewundernswert ist die Routine im besten Sinne, mit welcher das Münchner Rundfunkorchester und der Chor des Bayerischen Rundfunks diese Werke angehen. Aber leider dringen diese von mir sonst hoch geschätzten Ensembles in den vom Bayerischen Rundfunk festgehaltenen Konzerten kaum in die letzte Tiefe der Werke ein. Chefdirigent Marcello Viotti kratzt bei Poulenc bzw. Szymanowski nur an der Oberfläche der französisch-lebensfrohen und der westslawischen Mystik. Es werden vorrangig aufführungstechnische Probleme behandelt, beispielsweise die offenbar tückische Akustik der Münchner Kirche St. Gabriel, wo die Werke von Poulenc und Szymanowski am 17. März 2000 bzw. 2003 aufgezeichnet wurden. So übernehmen die Chorbässe erst im dritten Takt ihres solistischen Einsatzes, mit dem das Stabat Mater von Poulenc beginnt, das Tempo des Orchesters – gewiss eine Kleinigkeit, über die man bei einem Konzertmitschnitt hinwegsieht, aber hier ein Exempel für die Atmosphäre der Aufnahme, die lange nichts Spirituelles an sich hat.
Über die Gesangssolisten verrät uns das dünne Beiheft fast nichts. Sopranistin Georgina von Benza und Bariton Fabio Previati verleihen ihren schönen Stimmen etwas zu viel Pathos in diesem Zusammenhang. Gerne hätte man gewusst, wie Violeta Urmana und Iris Vermillion (Mezzosopran) sowie Birgit Remmert (Alt) – welch ein Gipfel dieser Stimmlage! – auf die Werke von Szymanowski und Rihm verteilt sind.
Ingo Hoddick

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