Canal, Marguerite
Lieder, Songs, Melodies
Le Jardin de L'Infante / Sonate für Violine und Piano
In drei Sprachen bezeichnet das Booklet das, was Marguerite Canal an gesanglichen Kostbarkeiten komponiert hat: Lieder, Songs, Melodies, und fügen wir den Accent aigue hinzu, so ist die letzte Bezeichnung zutreffend. Ein Reigen typisch französischer Lieder, eben Mélodies, stellt diese CD vor, der Tradition des 19. Jahrhunderts verhaftet und gleichzeitig die impressionistische Tendenz französischer Werke spiegelnd, deren Themen häufig die Gärten der Nacht, Traumlandschaften, Boote auf leichten Wellen und Abendstimmung heißen. Die Liebe wird eher als Erinnerung besungen, der Frühling regt nicht zum Aufbruch, sondern zur Wehmut an.
Nell es drängt sich der Vergleich mit dem berühmten Pendant Faurés auf: schwungvoll, drängend, atemlos, kraftvoll. Canals Stimmung dieses Liebeslieds ist jedoch ruhig, ängstlich, wehmütig, fragend, aber durchaus von Fauréschem Duktus. Dafür beginnt ihr Içi-bas fast identisch wie die Parallelkomposition von Fauré, mit langsamen Arpeggien, sogar die Punktierung des ersten Textteils Içi-bas ist gleich, wenn auch in anderer Taktart. Fauré nimmt einen 2/4-Takt im Andantino, Canal schreibt ein langsameres Tempo vor im Dreiertakt mit Unterteilung jeder Zählzeit in sechs Sechzehntel. Auch Recueillement, das Baudelaire-Gedicht, zeigt im Vergleich mit Debussys Vetonung Parallelen. Hier imitiert Canal teilweise denselben Rhythmus. Nicht, dass der verbalen Betonung und dem Sprachrhythmus folgend ähnliche Längen und Kürzen auftauchen, nicht nur, dass dieselbe Steigerung in einem ähnlich exponierten hohen Ton kumuliert: Es finden sich exakt dieselben Intervallschritte bei ähnlich gestalteten Tempi und der Kontrastwirkung von langsameren und schnelleren Teilen. In Il pleure dans mon coeur finden wir im Vergleich mit Debussys Vertonung desselben Gedichts eine völlig andere Umsetzung, unruhiger, bei Canal in Moll, die Melodie fast völlig entgegengesetzt, ein anderer Rhythmus. Canal beherrscht die Kompositionskunst der Franzosen vollkommen; ihre depressiv-melancholische Grundstimmung hält sie in abgesteckten Grenzen, die sie auch in ihrem Jardin de LInfante trotz der geeigneten Textvorlage nicht ins Expressionistische hinaus überschreitet. Auch ohne direkte Doppelinterpretation drängen sich bei ihren Liedern immer wieder Vergleiche auf, auch mit Duparc und Chausson.
Die Tempi der Stücke liegen zwischen andantino und andante, in schnelleren Werken ein bisschen zum allegretto, in langsameren zum largo tendierend. Dominique Longuet singt mit angenehmem, aber nicht sehr konzentriertem Klang und einigen Unebenheiten in der Tongebung und Tonhöhe die Lieder deren ruhigem Charakter entsprechend, von Barbara Sarlangue-Laumeister einfühlsam-unauffällig begleitet. Auch in der Violinsonate findet sich eine fast identische Debussysche Klangwelt. Andreas Lucke und Barbara Sarlangue-Laumeister musizieren entsprechend der Vorgabe den 2. und 4. Satz schwungvoll, den 1. und 3. Satz mit ruhigem Ausdruck.
Annette Brunsing