Bendt Viinholt Nielsen
Rued Langgaard
Ein romantischer Komponist in turbulenter Zeit aus dem Dänischen von Peter Urban-Halle
War Rued Langgaard (1893-1952) ein fröhlich Unzeitgemäßer? So könnte man den Untertitel der vorliegenden Neuerscheinung lesen. Die Wahrheit sah anders aus, doch hätte Bendt Viinholt Nielsen – dänischer Musikforscher und führender Langgaard-Experte – sein Buch „Ein zerrissener, missverstandener, manisch produzierender Komponist“ betiteln sollen? All dies wäre zutreffend! Doch natürlich hat der Autor es richtig gemacht: Mit seinem Verweis auf Romantik und „turbulente Zeiten“ skizziert er den historischen Rahmen und lädt auf sanftem Weg ein zu Begegnungen mit einem sperrig-faszinierenden Exzentriker. 1991 veröffentlichte Nielsen ein Verzeichnis der 431 (!) Werke Langgaards. Vorausgegangen war jahrelanges Sichten und Ordnen eines chaotischen Notennachlasses.
Als Romantiker präsentiert sich Langgaard in hörbarer Anlehnung an die Musik des dänischen Heroen Gade, an Schumann, Wagner, Strauss. Auf Wurzeln der Romantik geht überdies jene philosophische Haltung zurück, die sein Denken bis in die 1920er Jahre prägte: „Ich will, dass meine Kunst heilig wird, rein geistig. Die irdischen Sphären sind mir zu niedrig, die menschlichen Gefühle zu unvollkommen“, notiert der 17-Jährige. Inspiriert durch die Atmosphäre seiner Jugendjahre – beide Eltern waren Klavierlehrer, durchdrungen von der mystischen Idee einer Musik als göttlicher Offenbarung – entwickelte Langgaard eine persönliche Kunstreligion. Verstärkt durch die Eindrücke des 1. Weltkriegs entstand zudem die Vorstellung einer satanischen, dem Guten entgegenstehenden Kraft.
Am Beginn der Lebensbahn steht ein Wunderkind, verhätschelt von übersteigerter Mutterliebe. Entwicklungsstörungen und Autismus prägten Langgaards spätere Jahre. Wenigen Erfolgen standen viele Rückschläge gegenüber. Manch spöttische Kritikerstimme musste der Komponist ertragen. Entsprechend heftig schlug er bisweilen zurück.
Erst posthum wurde das scheinbar „Stillose“ seiner Werke in Verbindung gebracht mit neueren kunsttheoretischen Ideen: Diskontinuität, Nicht-Linearität. In manchen Aspekten zeigt sich Langgaards Musik zukunftsweisend. Trotz ihrer Disparität bilden insbesondere seine 16 Sinfonien einen einzigartigen Werkkorpus. Kein Zufall auch, dass seiner Oper Antikrist im Jahr 2022 – ein Jahrhundert nach ihrem Entstehen – an der Deutschen Oper Berlin ein großer Erfolg beschieden war.
„Langgaard zuzuhören erfordert Offenheit und Vorurteilslosigkeit“, schreibt Nielsen. Sein unterhaltsam geschriebenes Buch bietet einen perfekten Kompass zur Erkundung der Langgaard’schen Musiklandschaft.
Gerhard Anders


