Peter Ruzicka
Orchestra Works Vol. 5
Nils Mönkemeyer (Viola), Carolin Widmann (Violine), Albrecht Mayer (Oboe), Kris Garfitt (Posaune), NDR Elbphilharmonie Orchester, SWR Vokalensemble Stuttgart, SWR Sinfonieorchester, Schleswig-Holstein Music Festival Orchestra, Deutsche Kammerphilharmonie Bremen, Ltg. Matthias Pintscher, Bas Wiegers, Peter Ruzicka, Massimiliano Matesic
Der Komponist, Intendant und Neue-Musik-Kurator Peter Ruzicka hat inzwischen jenes honorable Alter, in dem das Attribut „Klassizist“ eine Auszeichnung bedeutet. Das fünfte Album seiner Orchesterwerke vereint vier Solokonzerte aus den Jahren 2011 bis 2022 mit zu Neuer Musik affinen Klangkörpern und prominenten Solist:innen. Dieses solide, unaufgeregte Agieren im Spitzensegment kennt man von Ruzicka. Dazu kommen weitere, weniger spektakuläre, aber wesentliche Eigenschaften: Keines der hier vorgestellten Werke dauert länger als 20 Minuten. Ruzicka hat es demzufolge nicht nötig, kreatives Material über seine Hochwertzeit hinaus zu dehnen und aufzupolstern. Effektvolle Exklusivität fordert Ruzicka nur da, wo es sein Einfall, die Klangvorstellung und das Sujet erfordern. So im nach der Pandemie vollendeten Opus Eingedunkelt für Violine, Kammerchor und Orchester. Dieses Werk mit den gesungenen Versen „Nach dem Lichtverzicht“ ist eine weitere Etappe der Auseinandersetzung mit dem Dichter Paul Celan („der wie kein anderer die Wunden des 20. Jahrhunderts zu benennen wusste“). Ihm widmete sich Ruzicka bereits mit einem Musiktheater in sieben Entwürfen und einer Sinfonie.
Jedes Solokonzert hat einen Titel und verweist auf Konstellationen, welchen die Musik nachspürt – ohne in einem dualistischen Sinne dramatisch zu sein. Oftmals sind es flächige Werkgebilde in freier Tonalität oder Atonalität, mit denen sich Ruzicka nach Gustav Mahler, Alban Berg und Hans Werner Henze in der Chronik des 20. und 21. Jahrhunderts positioniert: Komponisten, die Innovationskraft bewiesen, indem sie das Prinzip der Sinfonie bzw. Sinfonische Dichtung mit neuen Form- und oft Flächen-Konstruktionen weiterdachten. Nachdenklichkeit, individuelle Nachschöpfung und eine dramatische Progression haben diese vier Werke gemeinsam. In der Tradition des „klassischen“ Solokonzerts stehen sie, weil Ruzicka an bestimmte Uraufführungsinterpreten dachte – etwa an den Oboisten Albrecht Mayer für Aulodie. Durch die Verdichtung und Verschmelzung von solistischer Interaktion mit dem Kollektivensemble zeigen die Partituren auch eine Herkunftslinie zur Moderne.
Ruzicka bestätigt mit diesen vier Solokonzerten, dass am Beginn des 21. Jahrhunderts Klassizität weiterhin möglich ist. Seine Kompositionen offenbaren neben der distinguierten Auseinandersetzung mit den Blessuren des 20. Jahrhunderts eine hochgestimmte Hoffnung auf das Fortbestehen großer Musikeinrichtungen. Auch in diesem ausdrücklichen Beharren auf Wertbeständigkeit ist Ruzickas kompositorisches Œuvre von Bedeutung.
Roland Dippel


