Herbert Haffner

Wen die Götter lieben

Zwanzig Porträts frühverstorbener Klassik-Interpreten

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Könighausen & Neumann, Würzburg
erschienen in: das Orchester 11/2025 , Seite 69

Trotz des einheitsstiftenden Untertitels des Buchs sind hier biografische Skizzen zu sehr unterschiedlichen Künstlerinnen und Künstlern versammelt: Künstler mit mehr oder weniger großem Bekanntheitsgrad und mit unterschiedlich langen und erfolgreichen Karrieren. Haffner zeichnet einfühlsame, schöne Porträts der Dirigenten Ataúlfo Argenta, Guido Cantelli, Ferenc Fricsay, István Kertész und Giuseppe Sinopoli, der Sänger Mario Lanza, Josef Schmidt und Fritz Wunderlich, der Pianisten Glenn Gould, William Kapell, Dinu Lipatti und Noel Mewton-Wood, der Geiger Christian Ferras, Josef Hassid, Ginette Neveu, Michael Rabin, Ossy Renardy und Julian Sitkovetzky, der Cellistin Jacqueline du Pré und des Hornisten Dennis Brain. Diese Auswahl ist nicht zu beanstanden. Wenn es 21 Porträts hätten sein können, hätte man sich die Aufnahme von Julius Katchen in den Band gewünscht.
Da der Begriff „frühverstorben“ nicht klar definiert ist (und sein kann), wirkt es überraschend, neben den Namen, die einem in diesem Zusammenhang sofort einfallen (Lipatti, du Pré oder Wunderlich), auch solche zu finden, die etwa 50 Jahre alt geworden sind und ein durchaus reiches Erbe hinterlassen haben wie etwa Fricsay, Gould oder Sinopoli. Man liest das Buch dann mit ganz besonderem Gewinn, wenn man jedes der persönlichen Schicksale für sich betrachtet und kein Leid gegen das andere aufrechnet.
Vor allem die Kapitel zu den heute fast völlig in Vergessenheit geratenen Künstler:innen, namentlich zu Hassid, Mewton-Wood oder Renardy, sind hochinteressant; andere Karrieren, wie etwa die von Glenn Gould, sind auch mehr als 40 Jahre nach dem Tod des Künstlers noch sehr präsent. Hier, wie auch im Kapitel zu Sinopoli, erfährt der Leser wenig Neues.
Leid ist immer individuell und nicht vergleichbar; trotzdem berühren besonders jene Passagen, an denen das abrupte Ende einer Karriere mit erbarmungsloser Brutalität zum Ausdruck kommt – wenn man etwa zu Jacqueline du Pré lesen muss: „Sie hat eine Beschäftigungstherapie, bei der man Löcher in Ledergürtel stanzt“ (S. 201).
Es ist gut und ein Zeichen gesellschaftlicher Reife, dass Bücher mit solcher Themenstellung (noch) ohne Triggerwarnung erscheinen können. Dass Tod und Sterben wie auch Suizid weithin immer noch Tabuthemen sind, hat seine Begründung vor allem in Unsicherheit und Angst, die wissenschaftlicher Erkenntnis freilich ihrerseits fundamental im Wege stehen. Auch aus dieser Überlegung heraus verdient der Autor Dank und Anerkennung.
Ulrich Bartels

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