Michael Haas

Die Musik der Fremde

Komponisten im Exil. Aus dem Englischen übersetzt von Susanne Held

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Reclam, Ditzingen
erschienen in: das Orchester 9/2025 , Seite 72

Über Komponisten, die vor dem NS-Regime flohen, wurde bereits viel geschrieben. Nun leistet der britisch-österreichische Musikforscher Michael Haas, Mitbegründer des Exilarte-Zentrums der Wiener Universität, einen weiteren Beitrag zum Thema. Ihm geht es um die Frage, was der Weg ins Exil für die künstlerische Arbeit bedeutet.
Haas präsentiert eine heterogene Gruppe aus jüdischen, politisch verfolgten sowie aus stilistischen Gründen als „entartet“ abgelehnten Künstler:innen. Stets jedoch geht das Exil mit ähnlichen Erfahrungen einher: Heimweh, Zorn, Anpassung an die neue Gesellschaft.
Denkt man an Exilmusik, fällt häufig der Name Kurt Weill, der am Broadway Erfolge feierte. Michael Haas betont indes, dass Weill eine Ausnahme darstellte; nur die Wenigsten schafften es, in der neuen Heimat Karriere zu machen. Einst gefeierte Schöpfer von Revuen oder Operetten wie Ralph Benatzky oder Emmerich Kálmán konnten in Amerika nicht an ihre Erfolge anknüpfen.
Michael Haas beleuchtet zahlreiche Einzelschicksale vielfach unbekannter Komponisten. Jedoch erweisen sich gerade deren Erfahrungen als besonders typisch und aussagekräftig in Bezug auf die Auswirkungen von Flucht und Vertreibung. So traf Haas den 1920 geborenen Robert Fürstenthal, einen österreichischen Juden, der sich in San Diego ein neues Leben als Buchhalter aufbaute. Nach Feierabend komponiert er nostalgische, spätromantische Miniaturen. „Wenn ich komponiere, bin ich wieder in Wien“, erklärt Fürstenthal. Andere Musiker:innen zogen nach Großbritannien, darunter die einst gefeierten Opernkomponisten Hans Gál und Egon Wellesz. Während Gál das Edinburgh Festival mitbegründete, widmete sich Wellesz fortan der Forschung über Alte Musik. Beide schrieben nie wieder eine Oper.
Haas blickt über die wichtigen Exilländer hinaus bis in den Fernen Osten, nach Zentral- und Südamerika und sogar zur Südsee. Seine Auswahl der Komponisten wirkt zuweilen zufällig und subjektiv – er will Exilerfahrungen beschreiben. Weil derselbe Komponist in verschiedenen Kapiteln vorkommen kann, vermisst man ein Namensregister.
Im Umgang mit den Herausforderungen des Exils erkennt Michael Haas wiederkehrende Muster. Einige Künstler ändern auffällig ihren Stil; andere komponieren nur noch für die Schublade oder verstummen gar gänzlich. Es gibt aktive Widerständler, vorbildlich Integrierte, Nostalgiker oder aber „Missionare“, die in ihrer neuen Heimat das „Evangelium“ der deutsch-österreichischen Musik verkünden. Am Ende fügen sich all die Einzelschicksale zu einem facettenreichen Mosaik.
Antje Rößler

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