Christian Jost

everything is broken up and dances

für Streichquartett

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Schott
erschienen in: das Orchester 7-8/2023 , Seite 67

Christian Jost, 1963 in Trier geboren, zählt zu den gegenwärtig meist aufgeführten lebenden Komponisten. Das liegt offenbar an der Faktur seiner Musik, die sowohl den Interpret:innen als auch den Hörer:innen entgegenkommt: Weder werden die Musiker:innen überfordert – sie haben in der Aufführung der Werke gewissermaßen die spieltechnischen Fähigkeiten zu mobilisieren, die sie in ihrer langjährigen Ausbildung erlernt haben – noch werden die Hörer:innen mit Werken konfrontiert, in denen der musikalische Sinn, wie immer er bestimmt wird, rätselhaft verschlossen bleibt. Seine Musik entspricht der unmittelbaren Präsenz des Erklingenden und ist nicht erst durch irgendwelche Kommentare zu erschließen.
Sein 2015 in Berlin uraufgeführter Streichquartett-Satz everything is broken up and dances charakterisiert denn auch eine Eigenschaft, die in der „avantgardistischen“ Musik seit den 1950er Jahren geradezu tabuisiert wurde und als Urteil einem Verdikt gleichkam: Sie gibt sich „musikantisch“ und „spielfreudig“ und ist von der Faktur des Materials und den ausgestalteten Tonbeziehungen her durchaus tonal geprägt oder besser: gleichsam infiziert. Sie kehrt den Vorgang des Musizierens, des ungehinderten Musikmachens in allen möglichen Facetten frisch und unverkrampft nach außen und setzt ihn gewissermaßen ins Werk. Dabei verfährt Jost keinesfalls retrospektiv und hängt dem Überkommenen an. Vielmehr erzielt er mit durchaus traditionellen Mitteln neuartige und überraschende Wirkungen.
Im vorliegenden Werk ist es das Komponieren mit „patterns“, also mit oftmals wiederholten Takteinheiten, wie man sie aus der Minimal Music kennt. Aber Jost hält solche „patterns“ nur in einer Stimme ostinatohaft durch, zu der die anderen Stimmen gänzlich unterschiedliche Tonkonfigurationen hinzufügen. Auf diese Weise verändert sich die Musik fortwährend und bleibt doch in Grenzen gleich. Hinzu kommt eine planvolle vierteilige formale Gliederung mit Reprisenwirkungen, die mit den markanten unterschiedlichen Vortragstempi (als Tempoangaben dienen ausschließlich Met­ronomzahlen) das Stück leicht überschaubar machen. Auf besondere Spielweisen verzichtet Jost ebenso wie auf eine aufwändige dynamische Artikulation oder eine ausgeklügelte rhythmisch-satztechnische Differenzierung. Man mag sich fragen, ob diese Musik mit solchen Merkmalen noch den höchsten Ansprüchen standhalten will, mit denen Streichquartett-Musik gemeinhin identifiziert wird. Jost führt eher zu Ursprüngen des lustvollen Musizierens und Hörens zurück, welche die anspruchsvolle satztechnische Fundierung verblassen lassen.
Der Notendruck mit perfekten Wendestellen in den Stimmen ist schlechterdings makellos-vorbildlich.
Giselher Schubert

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