Reinhard Goebel

Johann Sebastian Bachs „Brandenburgische Konzerte“

mit zwei Audio-CDs (Einspielung 1987)

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Dohr
erschienen in: das Orchester 7-8/2023 , Seite 64

Selten hat Johann Sebastian Bach (1685–1750) seine Musik einer Herrschaft gewidmet. Die Six Concerts Avec plusieurs Instruments aber gehören dazu. Adressiert waren sie an Ihre Königliche Hoheit Christian Ludwig Markgraf von Brandenburg (1677–1734), ein Mann von Adel, der um den Wert der Künste wusste. Ihm dedizierte Bach als „unterthänigster und gehorsamster Diener“ am 24. März 1721 in Köthen dieses halbe Dutzend an Concerti, die immer eine andere Besetzung erfordern und einfach so am Hofe kaum aufführbar waren. Doch sie fanden in genau dieser Zusammenstellung in die Welt, sie blieben der Nachwelt erhalten und tragen dank dem Bach-Biografen Philipp Spitta seit dem späten 19. Jahrhundert jenen Titel, der auch den Markgrafen unsterblich hat werden lassen.
Die Brandenburgischen Konzerte hat Reinhard Goebel in seiner jahrzehntelangen Tätigkeit als Musiker, Dirigent und Musikwissenschaftler intensiv bearbeitet. Nun bündelt er das, was er aus dieser Befragung Bachs an Antworten gefunden hat, in einem mit Abbildungen und Notenbeispielen ansprechend gestalteten Buch, das erquickend und inspirierend ist. Denn Goebel stößt mit seinem „sezierenden Blick“ etwas an: dieses musikalische Werk nicht einfach nur als vorgegeben hinzunehmen, sondern zu ergründen, warum es genau in eben dieser Form gestaltet worden ist.
Es macht Freude, mit ihm einzutauchen in den Bach’schen Kosmos, sich einzufinden in das Zeitgefühl der Mächtigen und Musizierenden des frühen 18. Jahrhunderts, sich einzulesen in die Handschrift des barocken Meisters. Eine „sublime Zeichensetzung ganz anderer Art“ hinter den Noten zu entdecken, ist ein wesentlicher Ansatz dieser Analyse. „Erfolgreiches Hören von Musik des 18. Jahrhunderts setzt in mehr als nur gewisser Weise die Kenntnis bzw. das Erkennen immer wieder vorkommender ‚Vokabeln‘ und das Wissen um ihre Funktion voraus, war sie doch gleichsam ,Rede in Tönen‘“, schreibt Goebel. Die rhetorischen Mittel dieser musikalischen „Ansprachen“ fächert er sukzessive auf – mal in Bezug auf das je im Fokus stehende Instrument und seine auch außermusikalischen Bezüge (Concerto I: Horn/Jagd), mal hinsichtlich der Funktion eines Stücks (Ehrerbietung, Trost…) oder mit dem bewundernden Blick auf Bachs meisterhaft fortgeführte „Kunst des Entlehnens“.
Die beigefügte Einspielung der Brandenburgischen Konzerte des vor 50 Jahren von Reinhard Goebel gegründeten Ensembles Musica Antiqua Köln ermuntert zum hörenden Nachvollziehen all dieser Beobachtungen. Hier klingt an und nach, was Goebel intellektuell und künstlerisch zu durchmessen vermag – mit Hochachtung vor dem einst Geschaffenen und auch mit der Lust am gekonnten Parlieren. So macht sich der Träger der Bach-Medaille erneut verdient um die Pflege des Bach’schen Werkes.
Claudia Irle-Utsch

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