Bernd Alois Zimmermann

Violin Concerto, Photoptosis, Die Soldaten, Vocal Symphony

Leila Josefowicz (Violine), Anu Komsi (Sopran), Jeni Packalen (Alt), Hilary Summers (Kontraalt), Peter Tantsits (Tenor), Ville Rusanen (Bariton), Juha Usitalo (Bass), Finnish Radio Symphony Orchestra, Ltg. Hannu Lintu

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Ondine
erschienen in: das Orchester 09/2019 , Seite 65

Die drei Werke dieser klug konzipierten Neueinspielung gestatten einen aufschlussreichen Einblick in das Musikdenken von Bernd Alois Zimmermann, das er im Begriff „Kugelgestalt der Zeit“ gebündelt und mit dem er seine eigenständige Position im Gegenwartsschaffen erlangt hat. „Der stilistische Raum“ reichte für ihn „von der Gregorianik bis zur seriellen Musik, von der Musik der Primitiven bis zur elektronischen Musik, vom Tamtam bis zur ‚musique concrete‘!“

Den universal gebildeten Musiker, der mit Kunst und Philosophie ebenso vertraut war wie mit allen Genres der Musik, hat Michael Gielen einmal als letzten Komponisten gewürdigt, der alles gekonnt habe. „Er schrieb für Film, Bühne, Hörspiel, Konzert; er scheute auch die Einbeziehung populärer Musik nicht.“ Sein pluralistisches Komponieren eliminierte „Stil“ und bog Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft zur Kugelgestalt zusammen. Bereits das Konzert für Violine und großes Orchester (1949/50) folgt dieser Idee. Hier verweist, neben einigen noch traditionell wirkenden Sätzen, vieles bereits auf Neues, das dann in der Oper Die Soldaten (1957-64) kulminiert. Jacob Michael Reinhold Lenz’ Drama (1776) und dessen Sturm-und-Drang-Dramaturgie vertont Zimmermann mit einer Vielzahl musikalischer, theatraler und medialer Mittel, die sämtlich auf eine Allintervall-Reihe bezogen sind. Unübersehbar ist die Nähe zu Alban Bergs Wozzeck (1925): Mit ihrer kompromisslosen Einheit von humanistischem Anliegen und avanciertem kompositorischen Denken ragen beide Werke als Twin-Towers in die Opernwelt des 20. Jahrhunderts.

Und auch Zimmermann schuf eine Konzertversion, um seinem Stück den Weg auf die Bühne zu bahnen: Die Vokalsinfonie (1963) wählt sechs Instrumentalsätze und Szenen im Hinblick auf Aufführungspraxis, Gesang und Handlung aus und rückt das Schicksal von Marie in den Vordergrund, die in den Armen adliger Offiziere nach Höherem strebt und abgrundtief fällt. Zeitdehnung, Collagen und Synästhesien prägen zuletzt das Prélude für großes Orchester Photoptosis (Lichteinfall; 1968). Inspiriert durch monochrome Wandflächen des Malers Yves Klein, verbindet Zimmermann zwei dynamische Crescendobögen durch einen statischen Mittelteil, dem luziden Spiel mit Motiven von Bach und Beethoven, von Wagner, Debussy und Skrjabin.

Für die Interpreten sind die immensen spieltechnischen Herausforderungen und der unbedingte Ausdruckswille des Komponisten eher Ansporn als Hemmnis: Leila Josefowicz bewältigt ihr Solo ebenso brillant und expressiv wie die sechs Sänger ihre Vokal-Akrobatik. Und Hannu Lintu steuert das prächtig spielende Finnische Radio-Sinfonieorchester souverän durch alle Klanggewalten und Farbnebel der komplexen Partituren – ein beeindruckendes Hörerlebnis und eine schöne Würdigung von Zimmermanns 100. Geburtstag im Jahr 2018.

Eberhard Kneipel

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