Verdi, Giuseppe
Oberto conte di San Bonifacio
Oper in zwei Akten. Oper in zwei Akten. Cappella Aquileia, Czech Philharmonic Choir Brno, Ltg. Marcus Bosch
Noch vor seinem Nabucco trat Giuseppe Verdi 26-jährig aus dem Schatten der bisher nicht Wahrgenommenen heraus und schrieb Oberto, in Mailand 1839 uraufgeführt und bekam daraufhin sofort den Auftrag für drei weitere Opern. Was ist nun Oberto, die zweiaktige Geschichte vom klassischen Konflikt Tochter/Vater, für die Verdi-Rezeption aus heutiger Sicht? Ein zu Recht vergessener Erstling, ein Hoffnungsstrahl am Beginn der großen Karriere im 19. Jahrhundert, ein Beweis für Verdis melodischen Reichtum, ein erster Hinweis auf die dramatische Kraft der italienischen Oper am Beginn des Verismo? Ein Beispiel für einen Vergiss-mein-nicht-Start? Sicherlich von allem etwas.
Musikalisch lässt sich das Stück, wie bei dieser tschechischen Aufnahme von 2016 unter dem Dirigat von Marcus Bosch deutlich formuliert, bestens anhören. Die Chöre, die Arien, die Rezitative, die Aktschlüsse, die Steigerung der Emotionen, die (noch etwas zaghafte) Behandlung des Orchesters, das Melos da deutet sich der große Theatraliker Verdi an. Noch nicht ausgereift, aber durchaus starke Hinweise auf Kommendes, Großes. Also: Oberto, richtig eingeordnet, ist durchaus schon ein (manchmal noch verkappter) Hörwurm. Man ist schon erstaunt, wie professionell mit den Grundpfeilern der Handlungsstränge umgeht.
Riccardo will Cuniza heiraten. Das soll der Beginn einer neuen Friedensepoche für das Volk um Schloss Bassano sein. Leonora, der Riccardo Jahre zuvor die Ehe versprach, sinnt auf Rache. Ihr Vater Oberto schaltet sich ein und fordert Riccardo zum Duell. Cuniza will sich ebenfalls an ihm rächen, weil er ihr nicht die Wahrheit sagte. Sie will, dass Riccardo zu Leonora zurückkehren soll
Es kommt zum (heimlichen) Duell und Oberto stirbt an der Verwundung, die ihm Riccardo zugefügt hat. Leonora sieht die eigene Schuld ein, geht ins Kloster. Riccardo schenkt ihr zuvor noch seinen Besitz. Kein Happyend.
Knapp, knapper, Oberto: Alles bei dieser knapp zweistündigen Oper ist schon auf den Punkt gebracht. Es gibt wenig heftige Entwicklung, dafür umso mehr Nullkommanichts-Dramatik. Die Schwächen (und Unlogik!) der Handlung bemerkt man beim Hören kaum, weil man schnell gefesselt wird von der Rossini- und Bellini-nahen Partitur. Verdi war noch nicht reif dafür (und hatte keine Zeit dafür!), Antonio Piazzas Libretto entsprechend umzuschreiben, aufzuwerten, bühnentauglich zu machen.
Die Aufführung der Opernfestspiele Heidenheim besitzt für das Charakter-Quartett gute, engagierte Interpreten: Woong-Jo Choi, Anna Princeva, Katerina Hebelkova und Adrian Dumitru garantieren vokale Dramatik und sichere Belcanto-Technik. Die Capella Aquileia, das Heidenheimer Festspielorchester, bleibt unter Marcus Boschs zügiger Leitung den Zuspitzungen der Tragödie nichts schuldig. Alles klingt bereits, dazu gehört auch der Philharmonische Chor aus Brünn. Ob sich Boschs Einsatz für Oberto durch weitere Einstudierungen auszahlen wird das wird erst die Zukunft belegen. Die musikalische Substanz jedenfalls überzeugt weitgehend.
Jörg Loskill