Margotin, Philippe
100 Jahre Jazz
Von der Klassik zur Moderne: Die größten Stars
Männer machen die Geschichte, auch die des Jazz. Dem populären Gedanken hängt auch 100 Jahre Jazz nach. Der großformatige Bildband, der erstmals 2013 in Frankreich und nun in deutscher Übersetzung erschienen ist, erinnert an die größten Jazzmusiker, an die ersten Meister des Genres, wie es in der Einleitung heißt. Der Untertitel unterstreicht den Superlativ noch: Von der Klassik bis zur Moderne: die größten Stars.
Bevor dem Startum gehuldigt wird, stellt Philippe Margotin die zwei großen Epochen des Jazz, die man mit alt und neu bezeichnen könnte, kurz dar. Von einer beabsichtigten kompletten Stilgeschichte ist dergleichen weit entfernt; sie dient lediglich dazu, den Hintergrund für das Panoptikum von Porträts der grandiosen Stars abzugeben.
Insgesamt bietet Margotin 63 Starporträts, bestehend jeweils aus einer Kurzbiografie und einer Auflistung der bedeutendsten Daten des musikalischen Wirkens, hier Signatur genannt. Die Anfänge in New Orleans (Wiege des Jazz) nennt mit Hot Jazz und Swing-Ära geniale Solisten. An erster Stelle steht Louis Armstrong, dessen Geburtsjahr immer noch mit 1898 falsch angegeben wird, gefolgt von Dutzenden weiteren illustren Namen: Duke Ellington, Count Basie, Sidney Bechet, Benny Carter, Benny Goodman, Glenn Miller und Artie Shaw. Selbstredend wird dem französischen Swing mit Django Reinhardt und Stephane Grappelli ein eigenes Kapitel gewidmet. Die zweite Epoche wird von Diven und Romantik angeführt. Sind die anschließenden Musiker, die dem Nachkriegs-Jazz Bebop, Cool und West Coast zugeordnet werden, hinlänglich repräsentativ unverständlich freilich, warum Coleman Hawkins nicht genannt wird und Miles Davis bei Cool auftaucht , so sind die Neuen Klangwelten, die bis in die Gegenwart reichen, recht lückenhaft.
Für einen ersten Überblick mögen diese 63 Porträts mit Biografien, Stilmerkmalen, Karrierehöhepunkte, persönlichen Geschichten und Fotos, von einem knappen Glossar begleitet, ohne Register leider, ausreichen. Von einer Gesamtdarstellung freilich kann keine Rede sein. Spielarten des modernen Jazz wie Jazzrock, Electric Jazz oder Free Jazz kommen nicht vor, Namen wie Ornette Coleman oder Cecil Taylor fehlen. Auch Weather Report, eine der prägendsten Bands der siebziger Jahre, wird verschwiegen, Europa fast ganz vernachlässigt. Es waren ja, liest man, wenige Europäer, denen es gelang, im Jazz Furore zu machen. So kann 100 Jahre Jazz allenfalls Ausgangspunkt sein für eine weitere Beschäftigung mit der Jazzgeschichte. Leider geht Philippe Margotin, der mit gewissen Vorlieben liebäugelt, allzu plakativ mitten hinein in die Geschichte des jungen, dynamischen Amerika, ohne auf soziale oder politische Implikationen einzugehen.
Reiner Kobe