Geck, Martin
Die kürzeste Geschichte der Musik
Eine schwermütige kleine Melodie senkt den Blick, um ihn ein wenig später tapfer auf die Dominante zu richten, dann aber schnell zu sich zurückzukehren. Auch mit solch liebevollem Sprechen über einen kleinen Ausschnitt aus einem Schubert-Streichquartett stellt Martin Geck ausdrücklich weniger die Wissenschaft als die Poesie der Musik in den Mittelpunkt seiner kürzesten Musikgeschichte. In der er sich wieder einmal als passionierter Geschichtenerzähler zeigt, wie er es in vielen Biografien vorher getan hat. Und es gelingt ihm auch in diesen knappen 19 Kapiteln das, was er im Vorwort zu seinem Mozart-Buch das Aufschließen von Räumen genannt hat. Räume, für die sich der Autor Leser wünscht, denen seine kleine Geschichte Lust macht, diese Poesie neu zu entdecken. Oder auch überhaupt zu entdecken, denn er wünscht sich sein Büchlein auch in die Hände derer, die als Musikliebhaber mit Musikgeschichte in der Regel bekanntlich wenig Umgang haben.
Vor der großen enzyklopädischen Musikgeschichte hat es Geck immer gegraust, denn selbst tausende Seiten hätten nicht ausgereicht [
], ein schön geschriebenes Buch zu machen. Sein schön geschriebenes Buch will Geck im Sinne von Mussorgskys Bilder einer Ausstellung verstanden wissen, quasi als Bilder einer Musikgeschichte. Er beginnt seinen Gang bei der mythischen Macht der Musik, den Stimmen der Naturvölker, gelangt über Gattungen, Komponisten (Bach, Schubert oder auch Clara Schumann) in explizit subjektiver Auswahl bei den Facetten ohne Ende zur Musik des 20. Jahrhunderts, zu der selbstverständlich auch Blues, Rock, Jazz und ihre schwarzen Wurzeln gehören. Es geht also durchaus chronologisch voran, wobei sich vom ersten Kapitel wie ein roter Faden die Idee des existenziellen Wesens von Musik durch die Geschichten zieht. Das beginnt bei einer Musik, die lebenserhaltend ist, weil es ohne sie nicht möglich wäre zu arbeiten, das Feld zu bestellen, und endet bei der das Wagner-Kapitel abschließenden Maxime: Die ganze, meist hart erstrittene und erlittene Kunst hat unsere Welt kaum besser gemacht; doch um wie vieles ärmer wären wir ohne sie! Dies Wagner-Kapitel verbindet in Gecks typischem aufmerksamen Plauderton Gedanken zum Ring à la Wagner für Nichtwagnerianer mit einem Plädoyer für einen vorurteilsfreien Umgang mit Wagners Antisemitismus. Man kann in diese Musikgeschichte überall einsteigen, wobei immer
die Gefahr besteht, sie nicht aus der Hand zu legen.
Allen Kapiteln zu eigen ist die Idee der engen Eingebundenheit der Kunst in das Leben. Der Promenade in den Bildern einer Ausstellung korrespondiert in jedem Kapitel ein Schlussabschnitt, in dem ausdrücklich der Autor spricht, dem Hörer weiterführende Räume öffnet. Übrigens: Wer beim Kauf des Buchs unaufmerksam war und den Verlagshinweis übersah, hat es womöglich nun doppelt: Es wurde nämlich unter dem Titel Wenn Papageno für Elise einen Feuervogel fängt bereits 2006 veröffentlicht. Da hat man eins zum Verschenken!
Günter Matysiak